Das Nest verlassen und Fliegen lernen

Teil 4: Eingefleischter Veganismus

Seit Monaten suche ich schon nach einem neuen Zuhause. Doch die Traumvorstellung von einer zentralen Altbauwohnung mit meterhohen, stuckverzierten Decken, Fenstern, die nach Süden gerichtet sind, mit mindestens 15 Quadratmetern Echtholzdielen und einer kleinen gemischten Gruppe von kreativen Menschen Anfang 20 bleibt anscheinend in den vier Wänden meines utopischen Gedächtnis. Fakt ist – Altbauwohnungen sind rar und begehrt. Jede Pushnachricht von „WG-Gesucht“ wird mit Gier geöffnet und die nächstbesten Gelegenheiten ergriffen, um hoffentlich einen „Casting-Platz“ zu ergattern – ob das dann auch etwas ist und wird, steht in den Sternen. Ich könnte behaupten, dass das WG-Besichtigen ein neues Hobby von mir geworden ist.

von Anne-Kathrin Oestmann

Die vierte Wohnung befand sich im hintersten Teil der Neustadt. Nah an der Hochstraße und nur einen Katzensprung von dem Bremer Flughafen entfernt. Die Wände des Reihenhauses waren mit schwarzen und roten Graffiti besprüht. Im Flur des Treppenhauses hing eine nackte Glühbirne. Auch wenn das Treppenhaus ziemlich dunkel war, konnte man den Staub und Dreck, welcher in den Teppich auf der Treppe eingetreten wurde, deutlich erkennen. Jahrzehnte lang musste hier nicht mehr gesaugt oder geschweige denn gewischt worden sein.

Die Wohnung der WG befand sich im vierten Stock, aber eine Mitbewohnerin öffnete mir schon die Hauseingangstür. Sie begrüßte mich mit dem Satz: „Nach jedem Schritt über die Schwelle muss das Schloss verriegelt werden. Bis zum Anschlag. So will es die Versicherung meint der Vermieter.“ Es ist eine reine Mädels-WG. Beide studieren Meeresbiologie an der Universität am Max-Planck-Institut. Sie teilen sich nicht nur vier Wände, sondern auch den selben Zukunftswunsch – in die Forschung zu gehen und mit weißen Kitteln in Laboren zu arbeiten. Außerdem verfolgen beide den gleichen Lifestyle: Veganismus. Ausschließlich pflanzliche Produkte landen in den Einkaufswagen und später in ihre Töpfe. Kein Hühner-Ei, keine Kuh-Milch und auf gar keinen Fall Fleisch. Gegen Fleischesserinnen, wie mich haben sie trotz allem nichts. Wichtig ist ihnen nur, dass es bewusst gegessen wird. Ein kurzer Griff in den Kühlschrank, der nach ein Wiener Würstchen für zwischen durch zielt, wäre ein absolutes No-Go. Vor meinem inneren Auge sehe ich schon die angewiderten Blicke, die sie mir zuwerfen würden, wenn ich morgens um halb 12 in der Küche stehen und mir ein Frühstücksei mit Bacon in Butter braten würde. Ich erzählte ihnen von meiner Zeit als Vegetarierin, die immerhin drei Monate anhielt. Aber nach einem Gang nach „Özlem“, dem besten Döner-Laden in Gröpelingen, konnte ich leider nicht widerstehen. Auch wenn man seinen Döner ohne Fleisch bestellen könnte. Trotzdem war meine vegetarische Zeit an diesem Tag vorbei. Das letzte mal wird es aber nicht gewesen sein – wozu gibt es denn Tofu?

Dabei sei es nicht viel teurer vegan zu leben, erzählten sie mir. Irgendwann kenne man seine Hotspots bei denen man den besten Humus, Nudeln ohne Eier oder das frischeste Gemüse bekommt. Schließlich laufe man seine Supermarkt Route wie in Trance ab und greife in die immer gleichen Regale. Egal ob die Produkte nun tierische Zusätze haben oder nicht.

Sie zeigten mir die Wohnung. Kleinere Zimmer mit aber auch ohne Schrägen. Die Küche war quadratisch geschnitten und bot viel Platz. Demnächst wollten sie ein kleines Sofa hinzustellen, um zumindest ein Teil des finanziell nicht leistbaren Wohnzimmers zu ersetzten. Das freie Zimmer, inklusive Balkon, auf dem die gelben Säcke ihr zu Hause fanden, blickte Richtung Südseite auf die kleinen Gärten der parallel gegenüber laufenden Nebenstraßen. Es war recht groß. Die Wände waren in weiß gestrichen. Aktuell wohnt eine Sportstudentin darin, die jedoch wegen ihres Studiums umzieht. Ob ich den Platz, als offizielle Nicht-Vegetarierin und Nicht-Veganerin, zwischen zwei eingefleischten Anti-Fleisch-Esser bekommen werde, ist fraglich. Aber wenn, würde ich versuchen, mein Leben auch ohne Fleisch weiter zu leben – kost´ ja nix!

Bild: Anne-Kathrin Oestmann

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