Ist das Kunst oder kann das weg?

Die Mai-Kolumne

Von Florian Fabozzi

Kürzlich bekam ich von meinem Arbeitgeber den Auftrag, über eine Kunstausstellung in einem Nachbardorf zu berichten. Das Dorf beheimatet eine alte und traditionsreiche Künstlerstätte, in der aktuell eine Bremer Kunststipendiatin schöpferisch tätig ist. Das klingt doch vielversprechend, dachte ich mir, in Vorfreude auf kreative und raffinierte Kunstwerke, die mich zum Staunen bringen, meinen Horizont erweitern und über die sich eine spannende Story schreiben lässt. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Mutmaßlich keine Ölgemälde oder Marmorskulpturen, aber vielleicht ja Alltagsutensilien, die in irgendeiner Form entfremdet eine neue abstrakte Gestalt ergeben. Oder vielleicht eine Ausstellung alter Sammlerstücke aus einer lange vergangenen Zeit?

Nichts dergleichen war der Fall. Die sogenannte Ausstellung bestand schlichtweg aus nicht mehr gebrauchten Besitztümern dieser werten Dame, die sie zuvor aus ihrem Wohnhaus ins leerstehende Müllerhaus nebenan transportiert und aufgebaut hat. Darunter Kleidung, Kosmetik, unbenutzte Hefte und Pinsel. Allesamt Gegenstände ohne historischen, ja nicht einmal mit anekdotischen Wert. Keine abstrakten Formen, keine Stimmung, kein Konzept.

Die Frau erzählte mir, sie würde die Ausstellungsstücke nach der Ausstellung (für die sie, so viel Anstand hat sie, kein Geld verlangt) an Interessierte verschenken oder verkaufen. Daher weht der Wind also. Die Frau möchte einfach ihr altes Zeug loswerden, doch als Arbeitsstipendiatin ist sie gleichzeitig dazu angehalten, hin und wieder Ausstellungen auf die Beine zu stellen. Und so hat sie also, voilà, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wer in dieser altehrwürdigen Künstlerstätte nach künstlerischen Anspruch sucht, muss ganz tief graben. Zum Glück gibt es auf dem Dorf genügend Schaufeln und Bagger, das macht die Sache einfacher.

Der Duden definiert Kunst als “schöpferisches Gestalten”.

Nun können natürlich die Kulturhipster dieser Welt mit den Fingern auf mich zeigen und mir Engstirnigkeit vorwerfen. Dabei setze ich Kunst gewiss nicht mit den Fresken eines Michaelangelo gleich. Ich habe auch schon künstlerische Darstellungen mit Klopapier gesehen – es ist vieles möglich, doch eine Grundidee, ein Konzept wäre doch zur Abwechslung ganz schön. Der Duden etwa definiert Kunst als „Schöpferisches Gestalten“.

Denken wir mal klientelorientiert. Interessierte schauen sich Kunstausstellungen an, in der Hoffnung Eindrücke zu einzufangen, die ästhetisch, inspirierend, manchmal auch verwirrend sein können – zumindest aber zum Nachdenken anregen. Die Altkleidersammlung einer 30-jährigen fällt eher nicht in das Raster. Sowas als Kunst zu deklarieren, ist für mich nichts weiter als Etikettenschwindel.

Darüber, wo die Grenzen zwischen Kunst und Belanglosigkeit liegen, wurde schon vor über 30 Jahren trefflich diskutiert. Der deutsche Künstler Joseph Breuys präparierte die Ecken von Räumen mit Fett und baute 1982 ein fünf Kilo schweres Monstrum aus deutscher Markenbutter. Die „Fettecke“ war geboren. Breuys schenkte das sogenannte Kunstwerk seinen Meisterschüler Johannes Stüttgen. Nachdem Breuys im Jahr 1986 das Zeitliche segnete, verwahrloste der Raum zusehends und damit auch der Buttterkoloss, der Staub ansetzte. Eines Tages wurde das besagte Werk von einer Putzfrau für Müll befunden und entsorgt. Der fassungslose Stuttgen zog vor Gericht und erhielt Schadensersatz von 40.000 DM. Die Putzfrau blieb glücklicherweise unbestraft.

In der daraus resultierenden öffentlichen Debatte entstand der geflügelte Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“, heutzutage die Titelzeile über fast alle kunstdefinitorischen Diskussionen. Im Falle der jungen Bremer Künstlerin und ihrer nicht mehr erwünschten Besitztümern hat der Spruch ausgedient. Denn das eine schließt das andere nicht aus: Erst nennt sie es Kunst, und danach kann es weg.

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