Ein Brandfeuer aus Solidarität

Von Minneapolis über London, Berlin bis nach Bremen

Es ist keine zwei Wochen her, als noch Corona bedingte Bestimmungen und Auflagen die Welt fest im Griff hatten. Diskussionen über Lockerungen – ja oder nein – wenn ja, wie und wann – bestimmten den Fokus unserer Gesellschaft. Das größte Highlight sind erst vor kurzem noch die Eröffnungen von Bars, Cafés und Restaurants gewesen. Dabei immer im Blick – Mundschutz, Desinfektionsmittel und Sicherheitsabstand. Denn die Angst sich zu infizieren, war noch immer groß. War. Denn schon längst hat sich der Blick auf ein ganz anderes Thema gelenkt, welches weit über die Angst des Virus hinaus geht und dessen imaginäre Barrikaden bricht – und nicht nur in den großen Metropolen dieser Welt. Auch auf den Straßen von Bremen schreien die Aktivist_innen: „Black lives matters“

von Anne-Kathrin Oestmann

Am Montag der vergangenen Woche, dem 25. Mai 2020 ist der afroamerikanische US-Bürger George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis, dem US-amerikanischen Bundesstaat Minnesota zu Tode gekommen. Der Tatverdacht: Ein gefälschter 20 Dollar Schein.

Von Passant_innen aufgenommene Videoaufnahmen hielten das Geschehen fest. Zu sehen sind drei Polizeibeamte, die sich auf den Körper, des auf dem Asphalt liegenden 46-jährigen stemmen. Einer von ihnen, Derek Chauvin, stütze sein Knie auf Floyds Nacken. Ein weiterer Beamter Tou Thao „sicherte“ das Umfeld ab und hielt die Passant_innen auf Abstand. Zuvor wurde der Verdächtige aus seinem Auto gezerrt und in Handschellen gefesselt. Minutenlang pressten sie den Mann zu Boden. Trotz unzähligen Hilferufen: „Please, please, please I can´t breathe, man.“ Erst nachdem ein Krankenwagen eintraf, ließen sie von ihn los. Ein Obduktionsbericht bestätigte, dass das Opfer durch „anhaltenden Druck“ erstickt sei.

8 Minuten und 46 Sekunden lang knieten sie auf dem Körper. Selbst nachdem Passant_innen versucht haben die Beamten zu überzeugen: „Stop. Look at him. He´s not responsive right now. He is not fucking moving right now.“ Der Polizeieinsatz war eine vorsätzliche Mordtat. Der Hauptverantwortliche Derek Chauvin ist nicht unbekannt. Er erhielt bereits 18 interne Beschwerden, so berichtet „The Independent“. Nach dem Tod von George Floyd wurde er aus dem Dienst entlassen, festgenommen und wird nun wegen Mordes angeklagt.

Nur einige von Hunderten

Der Mord an George Floyd ist nur die Spitze des Eisberges. Erst drei Monate zuvor, am 13. März 2020 wurde Breonna Taylor in Louisville, Kentucky von Polizeibeamten erschossen. Sie stürmten ihre Wohnung mit Verdacht des angeblichen Drogenbesitzes. Breonna Taylor wurde acht mal beschossen – illegale Substanzen wurden nicht gefunden.

Öffentliche Aufmerksamkeit erzielte auch der Fall Michael Brown, welcher am 09. August 2014 in Ferguson, Missouri durch mindestens sechs Polizeischüsse sein Leben verlor. Die Ursache, warum der Polizist auf den jungen Mann schoss, ist unklar. Erstmals wurde der Hashtag #BLICKELIVESMATTERS 2012 bei Demonstrationen nach dem Tod des 17-jährigen Tryvon Martin verwendet. Im Jahr 2015 wurde die #BLACKLIVESMATTERS Aktivistin Sandra Bland bei einer Verkehrskontrolle in Waller County, Texas verhaftet. Mit der Rechtfertigung sie habe nicht geblinkt, als sie die Spur gewechselt hat. Am 13. Juli 2015 soll sie in ihrer Gefängniszelle Suizid begangen haben. Ihre Familie und Freunde haben keine Zweifel – „Sandy“ hat sich nicht das Leben genommen. Erneut und nicht das letzte mal ging daraufhin die soziale Bewegung #SAYHERNAME auf die Straße. Diese Fälle sind nur einige von Hunderten. Allein in diesem Jahr gab es bereits 819 registrierte Todesfälle in den USA, so “Fatal Encoundters”.

Flashmobs und brennende Autos

Nachdem sich das Video in den Medien verbreitet hat, indem zu sehen ist, wie George Floyd erstickte, gingen zunächst viele Menschen in Minneapolis auf die Straßen, um zu demonstrieren. Sie hielten Plakate in die Luft, auf denen „BLACK LIVES MATTERS“ oder „JUSTICE FOR GEORGE FLOYD“ geschrieben wurde. Der Weckruf „I can´t breathe“ entzündeten Proteste in den gesamte USA. Tausende Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe stehen zusammen. Friedlichen Demonstrationen, wie beispielsweise Flashmobs fanden vor dem weißen Haus in Washington statt. Andererseits zündeten radikale Aktivist_innen unter anderem Autos an, um ihre Wut über den noch immer bestehenden Rassismus und der Polizeigewalt vor allem gegen schwarze Menschen zu kanalisieren. Die Spaltung der Menschenmasse ist nicht nur auf Seiten der Demonstrat_innen sichtbar. Auch die Polizeieinsätze verlaufen in irren Bahnen. So gingen beispielsweise Aufnahmen viral, in denen zu sehen ist, wie Beamte mit ihren Stöcken Schaufenster zerschlugen. Einsatzwagen fuhren ohne Rücksicht durch protestierende Menschenmassen und nahmen dessen Leben bewusst in Kauf. Dokumentierte Vorfälle zeichnen ebenfalls auf, wie menschliche Barrikaden aus maskierten Polizeibeamt_innen vor pazifistischen Demonstrant_innen standen und dessen Redner fest nahmen. Wieder andere demaskierten sich vor den Aktivist_innen und hielten selber emotionale Manifeste. Mit Tränen in den Augen umarmten sie sich gegenseitig und liefen zusammen durch die Straßen.

Polizeigewalt in Deutschland?

Rassismus und Polizeigewalt gegen schwarze Menschen ist nicht nur in den USA Realität. Fakt ist: Auch in Deutschland werden sie von Teilen unserer Gesellschaft rassistisch angefeindet, diskriminiert oder benachteiligt. Ebenso existiert Polizeigewalt. Dessau, 2005 – Oury Jalloh habe sich in seiner Gefängniszelle – mit Handschellen gefesselt – selbst angezündet. Vier Jahre nach dem angeblichen Selbstmord kam ein medizinisches Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Mann vor seinem Tod massiv misshandelt worden war. Ein weiterer Fall des angeblichen Suizids ereignete sich in Schweinfort 2019. Robble Warsame soll sich mit einer Decke stranguliert haben. Der 22-jährige sei zuvor mit einem anderen Mann in Streit geraten. Zwei Stunden nach seiner Festnahme war Warsame tot. Angehörige berichteten von Blutergüssen und Kratzspuren an seinem gesamten Körper – aber nicht eine davon an seinem Hals. 2005 starb Laye-Alama Condé in Bremen. Mit Hilfe von Brechmittel sollten verschluckte Drogen wieder erbrochen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deklarierte dessen Methode im Jahr 2006 als Folter. Der 36-jährige starb an dessen Methodik. Auch diese Fälle sind nur einige von Hunderten.

Demonstrationen fanden nicht nur in den USA statt. Auch außerhalb des Landes mit den unbegrenzten Möglichkeiten gehen seit einigen Tagen die Menschen auf die Straße. So etwa in Berlin, Paris, London, Amsterdam, Auckland oder Zürich. Am gestrigen Abend zum zweiten Mal auch in Bremen. Um 19 Uhr versammelten sich rund 2.500 Menschen am Goetheplatz. Mit Masken und Plakaten bewaffnet, folgte die Masse einem schwarzen Banner, auf dem mit weißen Großbuchstaben „BLACK LIVES MATTER I CAN´T BREATH STOP KILLING BLACKS“ geschrieben wurde. „NO JUSTICE NO PEACE“ wurde im Chor gerufen. Der drei stündige Protest zog bis in die Neustadt, begleitet von einem polizeilichen Großaufgebot. 15 Einsatzwagen mit schätzungsweise mindestens 90 ausgerüsteten Beamt_innen folgten der friedlichen Menschenmasse. Statt Pyrotechnik wurde eine bunte Fahne geschwungen. Die Message der Bremer Protestant_innen war klar: Ein friedliches demonstrieren, ohne Gewalt, gegen Rassismus – auch hier in Deutschland – und für Solidarität mit den betroffenen Menschen in den USA.

 

Fotos: Anne-Kathrin Oestmann

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