„Ich werde jetzt auf der Straße belästigt“
Zwei Trans-Menschen erzählen von ihren Erfahrungen
Von Yael Delkurt
Genderstereotype begegnen uns jeden Tag. Mädchen können gerne pinke Sachen anziehen, Jungs lieber nicht, dafür können die besser beim Tragen helfen oder Dinge reparieren. Alle Frauen wollen automatisch ab einem bestimmten Alter Kinder, Männer bekommen hingegen keine, erst recht nicht nach der Scheidung. Es ist okay, wenn pinke Rasierer teurer sind, denn immerhin sind Haare auf dem weiblichen Körper auch tendenziell unhygienischer.
Besonders gut kennen wir die Stereotypen, die über unser eigenes Gender, also das sozial konnotierte Geschlecht, verbreitet werden. Und manchmal, wenn ich das Auto wieder zum dritten Mal an der Ampel absaufen lasse, frage ich mich, ob ich das nicht doch vielleicht irgendwie auf mein Gender schieben könnte.
Zwei Leute, die sich mit diesem Thema gut auskennen, sind Leonie (Name von der Redaktion geändert) und Christian. Beide sind Mitte 20, trans und haben mir von ihren Erfahrungen mit Genderstereotypen erzählt.
Könnt ihr euch kurz vorstellen?
Leonie: Hey, ich bin Leonie, bin 24 Jahre alt und studiere Informatik. Vor ungefähr 4 Jahren habe ich mich als trans geoutet, seit 3,5 Jahren nehme ich weibliche Hormone. Vor 2 Jahren hatte ich dann auch meine geschlechtsangleichende OP.
Christian: Moin, ich heiße Christian, bin 25, wohne in Bremen und arbeite als Sachbearbeiter bei der kassenärztlichen Vereinigung. Ich nehme seit 6 Jahren Hormone, bin aber schon seit 12 Jahren geoutet. Bei den OPs bin ich noch nicht mit allem durch, aber komplett als Mann lebe ich jetzt seit 11 Jahren.
Welche Genderstereotypen fallen euch als erstes ein und was haltet ihr von diesen?
Leonie: Frauen fahren schlechter Auto. Und Männer sind unsensibel. Meistens stimmen die Stereotypen nicht, sondern werden von der Gesellschaft auf die Menschen projiziert. Auf manche trifft das dann zu, den meisten wird es aber aufgedrückt.
Christian: Da fällt mir vieles ein: Männer stehen auf Blau. Männer weinen nicht. Männer stehen auf Fußball. Frauen sind sensibel und mögen alles, was mit Blumen ist. Männer haben keine Ahnung von Make-Up, Frauen haben keine Ahnung von Handwerk. Ich halte das für Schwachsinn und es ist auch sehr toxisch. Wenn man Menschen sagt, wie sie zu leben haben, dann fügen sie sich dem automatisch.
Gibt es Klischees über euer jeweiliges Gender, die ihr seit der Transition (optische Angleichung an das identitäre Geschlecht) bestätigen könnt?
Leonie: Als ich mehr Progesteron, das ist auch ein Sexualhormon, genommen habe, konnte ich tatsächlich schlechter einparken und bin dabei oft gegen den Bordstein gefahren. Das habe ich auch von anderen gehört, die ein hohes Level von dem Hormon hatten. Bei den meisten war es nicht so extrem wie bei mir, aber es hat dieses räumliche Denken schon beeinflusst. Jetzt, wo ich eher auf einer normalen Dosis bin, kann ich aber wieder gut parken.
„Körperlich kann ich bestätigen, dass Frauen bessere Orgasmen haben“
Ich habe jetzt auch das Gefühl, dass ich meine Emotionen besser zeigen kann und dass das auch viel mehr von mir erwartet wird. Als Mann soll man seine Emotionen unterdrücken, weil man sonst als schwach gilt und Frauen dann weniger Interesse an einem haben.
Körperlich kann ich bestätigen, dass Frauen einen besseren Körpergeruch und viel bessere Orgasmen haben. Beim Thema Kraft kann ich aber keine Klischees bestätigen. Da denke ich, dass es eher von den jeweiligen Genen abhängt, wie stark man sein kann und wie viel Sport man macht.
Christian: Ich merke seit meiner Transition, dass ich häufiger ernst genommen werde, je männlicher ich wirke. Ich bekomme seitdem auch mehr Raum zum Sprechen. Ich weine jetzt weniger, aber das kann auch daran liegen, dass meine Depression sich gebessert hat. Eine Zeit lang habe ich versucht in das Klischee Mann reinzupassen und habe mich wie ein Macho verhalten, habe Hemden angezogen, so getan als würde ich mich für Sport interessieren und habe Frauen angebaggert. Dabei habe ich so versucht zu leben, wie mein Bruder es mir vorgelebt hat und wie andere Männer sich geben. Das war aber nicht ich.
Heute habe ich körperlich mehr Kraft und auch den Wunsch danach, kräftig zu sein. Seitdem ich als Mann gelesen werde, nehmen Leute auch automatisch an, dass ich stärker bin. Bei Umzügen werde ich ganz selbstverständlich gefragt, ob ich was tragen kann, obwohl zum Beispiel meine Partnerin lange mehr Kraft hatte als ich. Wenn wir darüber rumgewitzelt haben, dass sie stärker ist als ich, wurden wir oft ganz bedauernd von anderen angeschaut.
Werdet ihr von anderen Leuten seit der Transition anders behandelt? Draußen auf der Straße, auf der Arbeit oder bei Freunden und Familie?
Leonie: Ja, ich werde jetzt auf der Straße belästigt. Wenn man männlich gelesen wird, kann man aufrecht durch die Welt laufen und andere weichen vor dir aus. Jetzt gehe ich defensiver und versuche, bestimmten Menschen auszuweichen. Viele Frauen lächeln mich aber auf der Straße nett zurück an, das war früher anders. In der Uni hört man mir jetzt weniger zu und ich werde beim Sprechen viel häufiger unterbrochen. Oft werden auch Sachen, die ich gesagt habe, von männlichen Kommilitonen einfach wiederholt und denen dann zugeschrieben. Das war früher nicht so. Manchmal fühlt es sich so an, als sei meine Meinung jetzt nichts mehr wert.
„Menschen gehen mir draußen mehr aus dem Weg“
Von meinen Freund*innen fühle ich mich mehr wertgeschätzt und anders gesehen als früher. Meine Familie bemitleidet mich ein bisschen mehr, aber eher, weil ich trans bin und nicht, weil ich weiblich bin.
Christian: Menschen gehen mir draußen mehr aus dem Weg und machen Platz und ich werde anders angeschaut. Früher wurde ich auch mal lüstern angeschaut, mir wurde auch mit 13 schon an den Arsch gepackt, das würde heute keiner mehr wagen. In der Bahn setzen sich die Leute auch seltener zu mir, sondern eher zu Frauen.
In der Ausbildung und im Job werde ich ernster genommen und meine Meinung ist wichtiger. Wenn ich mich mit weiblichen Kolleginnen im gleichen Alter und mit gleicher Bildung verglichen habe, fiel es mir auf, dass mir mehr Kompetenzen zugesprochen werden.
Bei meiner Familie hat es mit der Akzeptanz ein bisschen gedauert, die wollten mich noch eine Zeit lang als Mädchen behalten und haben alles, was ich an Männlichkeit gezeigt habe, als Reaktion überzeichnet und parodiert. Das hat sich inzwischen aber wieder gelegt. Meine Schwiegerfamilie macht aber schon Unterschiede: Als meine Partnerin und ich zu einer Familienfeier gefahren sind, sollte sie noch mit beim Dekorieren helfen und ich sollte mit den Männern auf dem Balkon ein Bier trinken gehen. Ich habe angeboten, dass ich gerne beim Vorbereiten mithelfen kann – ich habe doch auch ein Auge für Schönheit! Aber ich sollte und durfte nicht dekorieren, sondern wurde zu den anderen Männern geschickt.
Seht ihr Menschen heute anders?
Leonie: Ich sehe Männer heute viel häufiger als eine Gefahr. Frauen kann ich jetzt besser auch als Freunde, nicht nur als potenzielle Partnerinnen, sehen. Letzteres liegt aber nicht an meinem Gender, sondern daran, dass ich früher dachte, ich würde mich nur mit einer Partnerin glücklich fühlen.
Christian: Ich sehe Menschen seitdem sehr anders. Ich habe lange sehr in den Genderklischees gedacht und Menschen auch so gesehen. Heute sehe ich Gender als ein Konstrukt, das uns auferlegt wird und beurteile die Menschen nicht mehr nach ihrem Gender, sondern nachdem, was sie können. Wenn eine für mich männlich gelesene Person mich fragt, welcher Nagellack ihr besser stehen würde, dann würde ich natürlich sagen, dass es immer der schöne Grünglitzernde ist. Das hat sich mit der Transition zum einen, aber auch mit meiner allgemeinen geistigen Bildung zum anderen weiterentwickelt. Jetzt versuche ich nicht mehr in Klischees zu denken.
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Egal welches Gender: Klischees sind veraltet, lästig und können verletzen. Dafür, dass sie in den Köpfen sind, können wir nur wenig, da sie ein gesellschaftlich etabliertes Konstrukt sind, das uns aufgezwungen wird. Was jede*r aber selbst machen kann, ist den Umgang mit ihnen und die eigene Reproduktion solcher Vorurteile zu überdenken. Macht es zum Beispiel wie Christian und versucht, die Kompetenz eures Gegenübers nicht nach dessen Gender, sondern dem Können zu beurteilen.