Kommt ein Cartoonist auf die Bühne…
…äh, Moment, ein Cartoonist auf der Bühne? So oder so ähnlich dürften viele reagieren, die von Ralph Ruthes Bühnenshow „Shit Happens“ gehört haben. Auch der ScheinWerfer war neugierig und deswegen am 12. November in Bremen dabei.
Von Pia Zarsteck
Ralph Ruthe ist ein deutscher Cartoonist, Comiczeichner, Autor und Musiker, den man schon seit vielen Jahren kaum noch ignorieren kann. Aber wer will das schon? Ruthes 1-Bild-Witze, oder auch einfach Cartoon genannt, sind treffend, pointiert, am Zahn der Zeit und schlichtweg witzig. Seine Tour heißt „Shit Happens“ und kommt beim Publikum extrem gut an. Aber was macht ein Cartoonist denn nun auf der Bühne??
Multimedia-Comedyshow
Ruthe selbst beantwortet diese häufig gestellte Frage in einem Video zu seiner Tour: „Dasselbe, was ein Bühnenkomiker macht: Menschen zum Lachen bringen. Und ich mache das in Form einer Multimedia-Comedyshow.“ Über zweieinhalb Stunden bringt Ruthe das Bremer Publikum zum Lachen – und das gleich zwei Tage hintereinander. Dank des großen Andrangs hat Ruthe zusätzlich zum ursprünglichen Termin am 11. November, seine Show am darauffolgenden Tag nochmal präsentiert – und im vollbesetzen Kulturzentrum Schlachthof Jung und Alt begeistert.
Pünktlich um 20 Uhr am Samstagabend wird es dunkel, eine große Leinwand, Mittelpunkt der Bühne, zeigt ein Einstiegsvideo: Gott, den Fans vom 44-Jährigen Cartoonisten wohlbekannt, bei der Erschaffung eines Menschen. Der Erschaffung von Ralph Ruthe, wie das Publikum schnell herausfindet. Noch bevor der Künstler selbst auf der Bühne zu sehen ist, schallt Gelächter durch den gemütlichen Schlachthof. Schon hat er uns! Nicht nur Kenner, sondern auch „Mitgeschleppte“ kommen ganz auf ihre Kosten, wenn Ruthe in gewohnt trockener, humorvoller Art in dem Video seine Biografie anschneidet. Überhaupt achtet Ruthe auf diejenigen im Publikum, die eventuell nicht so vertraut mit der Arbeit und den Figuren des Cartoonisten sind.
Shit happens!
Der Tourtitel entstammt der Reihe „Shit happens“, die er bereits seit über zehn Jahren mit neuen Bildchen und Videos füllt. Titelbild des gleichnamigen Buches aus dem Jahre 2003 ist eine menschliche Figur im Ganzkörperhasenkostüm vor einem Klo stehend, dessen Reißverschlussschieber just abgebrochen ist. Shit happens. Aber was wäre denn, wenn er einen ganz anderen Titel, ein ganz anderes Titelbild gewählt hätte? Das bunte, wenn auch überwiegend junge Publikum ist begeistert, als Ruthe Beispiele aufzeigt („Nix happens“). Die Show, eine Mischung aus Lesung, Zeigen von Bildern und Videos über die Leinwand und ein bisschen Gesang, beinhaltet bekannte Cartoons, aber auch neue Bildchen und Videos, die immer wieder zeigen, dass der Künstler auch in den miesesten Situationen eine Pointe finden kann. Zwischenmenschliches, Alltagsprobleme, aber immer wieder auch Seitenhiebe gegen aktuelle, politische Geschehnisse finden sich in den Cartoons wieder.
Gerne verwendet er Tiere, um mangelnde Kommunikation als Grundproblem aufzuzeigen. Seine Reihe „Flossen“ zum Beispiel darf man ganz philosophisch als Gleichnis für die Welt sehen. Der beengte Raum eines kleinen Goldfischglases steht für die Welt, die fischigen Bewohner (Ruthe: „Ich habe von Fischen keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob ich die anatomisch richtig darstelle.“) für Menschen. Und trotz der Enge des Raums biete er unendliche Möglichkeiten, so Ruthe. Seine Cartoons sind deckend gezeichnet und sehr farbenfroh. Einfache Zeichnungen und wenig, manchmal gar kein Text scheinen eine gewisse Massentauglichkeit zu schaffen. Aber inhaltlich sind die Witze makaber, überspitzt, parodierend, schwarzhumorig, oft einfach nur bitterböse – und manchmal total platt.
Publikumsnah
Ruthe ist ein Künstler zum Anfassen. Mit Blick auf die Zahlen „likender“, „folgender“ und „abonnierender“ Fans bei Facebook (~1,2 Mio), Twitter (~85.000) und YouTube (~0,5 Mio) auch ein Star zum Anfassen. Er beantwortet Kommentare, Nachrichten und E-Mails selbst und nimmt sich auch in der Pause seiner Live-Show Zeit für jeden, der sie beanspruchen möchte. Die erste Stunde verfliegt und es gibt zwanzig Minuten Pause. Gefüllt mit einer Diashow aus seinen mehr als 2000 Bilder umfassenden Repertoire. Das Publikum kommt auch in der Pause aus dem Lachen nicht mehr raus. Ruthe erscheint schon kurz vor Beginn der zweiten Hälfte wieder auf der Bühne und kündigt an, Fragen beantworten zu wollen. Wir erfahren wie lange ein Bild braucht (im Schnitt zwei Stunden von bis), wie die Videos entstehen (erst der Sound, dann die animierten Videos) und warum er quasi alle seine Rollen selbst spricht (bevor er sechs Monate auf eine Zweitstimme wartet, spricht er es lieber selbst). Apropos Sprechen: Nicht jeder Cartoonist, der Humor hat und gut zeichnen kann, ist auch auf einer Bühne gut
aufgehoben. Ruthe, dessen Stimme Erzählerqualität hat, jedoch schon. Texte aus den Cartoons liest er mit entsprechender Stimme vor und der Spaßfaktor der Bildchen vervielfacht sich enorm. Lachen und Applaus sind den Abend über garantiert und auch Ruthe hat sichtlich Spaß an dem Abend.
All die Situationen aus dem Alltag, die Ruthe in seinen Cartoons und Videos parodiert (darunter auch Werbung) nehmen häufig auch bekannte Figuren oder Personen aufs Korn. „Ich werde irgendwann sowas von verklagt werden…“, witzelt Ruthe mit einem verschämten Grinsen. „Aber bis dahin haben wir weiter Spaß!“ Warum gebe es eigentlich Comics auf Latein, will eine Zuschauerin wissen. Ruthe schmunzelt wieder mit seiner sympathischen Lache, die er auch so manches Mal beim Zeigen seiner Cartoons nicht zurückhalten kann: Das habe er bei Asterix abgeguckt. „Ich gucke tatsächlich viel ab.“, verrät er uns und zuckt grinsend die Schultern.
Film und Fernsehen
Der Cartoonist Ruthe hat Ambitionen. Dazu zählt es, ins Fernsehen oder auf die Kinoleinwand zu kommen. Drei Ideen für Fernsehserien, aktuell in Ablage P wie Papierkorb, stellt er uns vor: „Baktari“, eine Ansammlung höchst amüsanter Viren, die von Wirt zu Wirt geniest werden und allerhand erleben; „Frühreif“, wo klein Ralphi den Übergang von Kind zu Teenager zu managen versucht („Wer autobiografisches vermutet … liegt richtig“) und schließlich noch „Uwe, der Trucker-Bär“, der unterwegs in seinem LKW viel erlebt und vor allem interessante Mitfahrer hat. Hierfür hat er auch schon direkt einen Song mit entsprechendem Video als Serientheme kreiert, was er uns – wie vorab versprochen – live singt. „Ich habe nicht gesagt, dass ich gut singe“, kommentiert Ruthe am Ende trocken. Das Publikum aber ist zufrieden. Und wird nach jeder Idee daran erinnert, dass die Ideen aus der Ablage P zu retten wären: „Falls jemand Interesse hat, die Rechte sind noch frei.“
Auch für das Kino hat Ralph Ruthe Ideen gesammelt, die sich aber noch nie umsetzen ließen. „Es dauert schlichtweg viel zu lange“, erklärt er bedauernd und erläutert, wie lange alleine das Drehbuch am Anfang dauern würde. „Sechs Monate, in denen ich aber auch für nichts anderes Zeit hätte.“ Und keine neuen Videos oder Cartoons von unserem Lieblingszeichner? Lieber nicht. Oft gewünscht wird aber ein Kinofilm der Werbeparodien. Ruthe selbst ist skeptisch. Wer wolle sich schon 90 Minuten Werbung antun? So ein Film brauche schließlich auch eine Handlung, einen Plot, eine gewisse Tiefe und vor allem Figuren, die Raum für Entwicklungen haben. „Also wenn, wenn ich einen Kinofilm der Werbeparodien machen würde, dann so.“, kündigt er an und prompt friert die PowerPoint ein. „Kannste dir nicht ausdenken“, murmelt Ruthe und schafft es endlich den Trailer abzuspielen, der besonders viele Lacher erntet. Also vielleicht doch Stoff für einen ganzen Film?
Lieblingsfiguren und Social Media
Der Abend schreitet voran und spontaner Applaus brandet auf, als Ruthe die HNO-WG vorstellt. Die Giraffe Günni, das Nashorn Jochen und der Koalabär Krüger sind offensichtlich Publikumslieblinge. „Ich werde oft gefragt, wie ich auf den Namen gekommen bin“, erzählt Ruthe dem Publikum und schaut in einer dramatischen Pause auf das Bild der drei Mitbewohner. „Ich dachte, das sei klar.“ Die neue Folge „Das Geheimrezept“ gibt es zur Freude des Bremer Publikums direkt im Anschluss.
Seine Publikumsnähe erneut unter Beweis stellend, gibt Ruthe zum Ende hin Einblicke in die von ihm genutzten sozialen Plattformen. Beispiele für Kommunikation mit Fans bei Facebook, Twitter oder auch YouTube von ihm persönlich vorgelesen und kommentiert lassen erahnen, dass das Multitalent auch als reiner Bühnencomedian das Zeug hätte.
Und diese persönliche Interaktion, das gemeinsame Lachen und Spaß haben sind auch der Grund dafür, warum man diese Show besuchen sollte. Denn viele der Inhalte kennen Fans des Künstlers bereits. Aber neben einigen neuen Elementen, zum Beispiel dem Video einer ganz neuen Serie mit neuen Figuren zum Abschluss, gibt Ruthe im Live-Programm Blicke in den Hintergrund und zeigt ein tolles Best-of. Vor allem aber entdeckt bei man gemeinsamen Lachsalven die Witze der Bildchen irgendwie noch einmal neu. Wer im Anschluss noch etwas Zeit und Geduld erübrigen kann, darf sich vom Cartoonisten sein ganz persönliches Bild abholen: „Ich gehe nicht, bevor nicht jeder sein eigenes Bild hat, versprochen.“
Ein Abend, der sehr viel Spaß gemacht hat – nicht nur dem Publikum, sondern auch Ralph Ruthe selbst: „Ich mache Live-Abende, weil ich euch dann lachen höre!“ Weiterhin verrät er mir in einer Mail: „Bremen war super!“ Danke Ralph, es war super mit dir!