Netzwerk „Flüchtlingshilfe” – Teil 3

Deutschland – Wie Flüchtlinge unser Land sehen und erleben

Über Ansichten und Hoffnungen

Spricht man mit Asylbewerbern über ihr Leben in Deutschland, so sind sie ausgesprochen angetan von unserem Land. Sie sind voll Dankbarkeit, hier bei uns aufgenommen und betreut zu werden. Sie sind dankbar für die Hilfe, die sie erfahren. Sie finden unser Land „super!“.

Die Teilnehmer helfen sich gegenseitig – Copyright Roswitha Bögelsack

Von Roswitha Bögelsack

Doch nicht immer läuft die Ankunft ganz reibungslos. Anisha aus der Elfenbeinküste beispielsweise war sehr erstaunt, als sie in Europa ankam und dort Menschen mit einer hellen Hautfarbe sah. Das kannte sie vorher nicht. In einem ihrer seltenen Telefonate mit der Mutter erzählte sie dann auch von den Menschen mit der weißen Haut. Die Mutter war sehr besorgt.

Nach nunmehr einem guten halben Jahr in Deutschland mag Anisha die Deutschen. Sie wird von ihren Nachbarn nicht mehr wie eine Fremde, ein Exot gesehen. Vielmehr grüßt man sie höflich und wechselt auch ein paar nette Worte mit ihr, wenn man sich vor dem Haus auf der Straße begegnet. Anisha findet, dass die Mehrheit der Deutschen Fremden gegenüber offen und aufgeschlossen ist, sehr nett und höflich. Das schätzt sie.

Das empfindet auch Naji. Er ist mit Frau und drei Kindern aus dem Irak zu uns gekommen. Seit kurzem wohnt die Familie in einem gemieteten Reihenhaus in einer gut situierten Wohngegend. Sie haben bereits Kontakte zu den Nachbarn geschlossen. Man lädt sich gegenseitig ein. Das gefällt ihnen.

Viel Hilfsbereitschaft und Verständnis haben auch Nooria und Mohammad aus Afghanistan erfahren. Dass sie noch nicht so gut Deutsch sprechen, macht nichts: notfalls verständigt man sich eben mit Händen und Füßen mit den Nachbarn.

Fremde werden zu Freunden – Copyright Roswitha Bögelsack

Viele Asylsuchende und Flüchtlinge zeigen Interesse an unseren deutschen Feiertagen. Über den „Tag der deutschen Einheit“ und die zugrundeliegende Wiedervereinigung beispielsweise lässt sich eine ganze Unterrichtseinheit basteln. Die Geflüchteten wiederum erzählen viel von ihren meist religiös motivierten Festen. Als die erste Weihnachtsbeleuchtung unsere Straßen erhellte, fragte mich Delsoz, eine Kursteilnehmerin aus dem Irak, was diese Lichter bedeuten. Ich erklärte es ihr, und obwohl sie Muslima ist, verstand und respektierte sie dies: „Schön sieht das aus!“. In unserer letzten Stunde vor den Ferien haben wir im Kurs gemeinsam Weihnachtskekse gegessen.

 

Über Menschenrechte und Schulbesuch

Insbesondere Frauen aus afrikanischen Ländern gefällt es, dass in Deutschland die Menschenrechte geachtet werden. In ihrer Heimat gelten diese für Mädchen und Frauen häufig nicht. So dürfen nur die Söhne eine Schule besuchen, die Töchter bleiben zu Hause und helfen schon früh im Haushalt. Ab einem gewissen Alter werden sie vom Vater an meist ältere Männer zwangsverheiratet. Nicht unbedingt erstrebenswert.

Viele Frauen in meinen Deutschkursen haben nie eine Schule besucht. Für sie ist der Deutschunterricht gleichbedeutend mit einem „echten“ Schulbesuch! Deshalb empfinden sie Dankbarkeit. Eine fast 60-jährige Kursteilnehmerin aus Syrien kann nun am Ende des Kurses unsere Schriftzeichen erkennen und schreiben, sie liest auch langsam kleine deutsche Texte. Arabische Schriftzeichen kennt sie nicht. Doch sie ist stolz, als Frau so viel erreicht zu haben!

Für die Eltern ist es enorm wichtig, dass ihre Kinder – Söhne wie Töchter – hier in Deutschland eine Schule besuchen und nach Möglichkeit einen Schulabschluss erreichen können. Sie haben verstanden, dass Integration nur über fundierte Kenntnisse der deutschen Sprache und über eine gute Bildung gelingen kann. In vielen Ländern sind die Schulsysteme schlecht, weil Schulgebäude marode und die Unterrichtsmethoden veraltet sind. So ist es einer der größten Wünsche von Naji, dass seine Kinder hier in Deutschland gute Schulabschlüsse erreichen, vielleicht sogar studieren können.

Anisha, die in ihrer Heimat nie eine Schule besuchen durfte, möchte erst einmal gutes Deutsch lernen. Dann wünscht sie sich die Chance auf einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung. Wenn sie hier bleiben darf, hat sie gute Aussichten, dass ihr dies gelingen wird!

Neben dem Aspekt der Bildung ist „Sicherheit“ ein wichtiger Punkt für die Flüchtlinge. Ali aus Syrien findet es allein deshalb in Deutschland so gut. Viele erzählen, dass sie erst hier in Deutschland nach langer Zeit der Angst und Unsicherheit zum ersten Mal zur Ruhe kommen und durchschlafen können. So besteht der Tagesrhythmus vieler Asylsuchender anfangs nur aus Schlafen und Essen. Das hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern ist totaler Erschöpfung geschuldet.

Ein Herz für Deutschland in einem arabischen Notizheft – Copyright Roswitha Bögelsack

Fragt man Geflüchtete, was sie an Deutschland überhaupt nicht mögen, nennen sie in der Regel zuerst das Wetter. Für viele ist Deutschland ein kaltes Land, sie frieren schon bei 10°C und mummeln sich in dicke Schals und Mützen ein, wenn sie das Haus verlassen. Das wirkt auf Einheimische vielleicht ein bisschen befremdlich. Viel schlimmer ist es jedoch, wenn Flüchtlinge keine vernünftige Winterkleidung tragen, entweder aus Geldmangel oder weil sie sich nicht trauen in Bekleidungsgeschäfte zu gehen, aus Angst, Fehler zu machen und sich zu blamieren…

Alles in allem sind es nur Kleinigkeiten, die Flüchtlinge an Deutschland und an uns Deutschen merkwürdig finden. Sie akzeptieren uns so wie wir sind, das sollten wir andersherum auch tun.

Über schlimme Erlebnisse und Zukunftswünsche

Denn es gibt auch die schlimmen Erlebnisse. Eine junge Afrikanerin aus einem meiner Kurse beispielsweise fuhr im Zug zum Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Osnabrück. Der Wagen war gut gefüllt, fast alle Sitze besetzt. Ein deutscher junger Mann setzte sich neben die junge Frau und legte dreist ein Bein über ihren Schoß, sodass sie nicht mehr aufstehen konnte. Der Mann grinste, die Frau bekam große Angst und fühlte sich an Übergriffe in ihrer Heimat erinnert. Gott sei Dank kamen ihr Fahrgäste zu Hilfe.

Ramila, eine junge Somalierin, stand am Bahngleis in Bremen und wartete auf ihre Regionalbahn. Da kam ein deutscher Mann und drängte sich ihr auf anzügliche Art auf. Sie konnte die plumpe Anmache abwehren. Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl.

Viel schlimmer noch als die Anmache und Übergriffe von Männern ist gerade für Frauen aus Afrika, dass Flüchtlinge aus arabischen Ländern, die sich doch in der gleichen Situation befinden, sie beschimpfen und bespucken. Das können sie nicht verstehen. Das lässt sich nicht verstehen.

Obwohl sie ähnliche Situationen erlebt hat, hofft Anisha hierbleiben zu dürfen. Sie will nach der Schule und einer Berufsausbildung ihr eigenes Geld verdienen. Und vielleicht kann sie heiraten und eine Familie gründen… Die ganz normalen Wünsche einer jungen Frau.

Fazit

Ich bin nun am Ende meiner kleinen Textreihe angelangt. Selbstverständlich beinhalten diese Beiträge keine umfassende Darstellung der Flüchtlingsthematik. Das war auch nicht meine Zielsetzung. Vielmehr wollte ich von persönlichen Schicksalen berichten. Dennoch muss auch die institutionelle Seite der Integration berücksichtigt werden. Hierzu habe ich versucht, Hintergrundinformationen zu geben, die auf meinen Erfahrungen als Dozentin verschiedener Deutschkursangebote beruhen.

 

Die hier geschilderten Erlebnisse fußen auf Erzählungen und Gesprächen mit Geflüchteten. Aus Gründen der Diskretion wurden deren Namen geändert.

 

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