Das Schweigen meines Vaters

Erst wenn das Gegenüber schweigt, will man die Wahrheit wissen. So ergeht es der Protagonistin Doan, die sich nach dem Schlaganfall ihres Vaters selbst auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit machen. Denn ihr Vater ist verstummt.

Von Christine Leitner

Doan hat ihr gesamtes Leben Fragen gestellt. Vorzugsweise beschäftigte sie sich mit Migranten, die nach ihrer Flucht in Frankreich in ein neues Leben starten. Wie spannend und wichtig es ist, seinen eigenen Hintergrund zu kennen, erkennt die Journalistin mit vietnamesischen Wurzeln erst, als ihr Vater einen Schlaganfall erleidet und es ihm die Sprache verschlägt. Für Doan beginnt eine neue Recherche, doch dreht sich nun alles um ihr eigenes Leben, ihre Vergangenheit und die Frage der eigenen Zugehörigkeit. Denn richtig französisch fühlt sich die Journalistin nicht, ebenso wenig sieht sie sich als Vietnamesin…

Autorin Doan Bui trifft mit ihrem ersten Roman den Nerv unserer Zeit, beschreibt sie doch das Leben von Migranten in einem fremden Land und den Versuch, sich ein neues Leben aufzubauen. Erschwert werden diese verzweifelten Versuche durch das Anderssein, durch die Unterschiede zwischen Migranten und Einheimischen, aus denen Stereotype und Misstrauen erwachsen. Jedoch stammen die Protagonisten des Romans nicht aus dem Nahen Osten, sondern aus Vietnam. Die Eltern der Protagonistin gehören der ersten vietnamesischen Flüchtlingswelle nach dem Fall von Saigon im Jahre 1975 an. Die Motive bleiben jedoch dieselben: Wie sehe ich über Vorurteile hinweg und schaffe es, mich der neuen Gesellschaft anzunähern?

Der Roman ähnelt vom Schreibstil her einem Tagebuch, in dem die Autorin ihre Recherchen reflektiert. Jedoch kann die Geschichte auch als Reportage der Autorin betrachtet werden, begibt sie sich doch auf die Spuren in ihre eigene Vergangenheit und ihre Familiengeschichte. Auffallend erscheinen vor allem die Parallelen zur Biographie Doan Buis, weshalb der Roman als Autobiographie gelesen werden sollte. Dabei begibt sich die Autorin auch ein Stück weit auf eine Reise in die vietnamesische und französische Kolonialgeschichte.

Aus der Sicht einer Vietnamesin geschrieben, eröffnet der Roman einem europäischen Leser Einblicke in die Gedankenwelt und Perspektiven der vietnamesischen Diaspora. Darunter ihre Wünsche, Hoffnungen und Träume, ihre Werte und ihre Kultur, die uns so fremd erscheint, obwohl die Menschen im Viertel direkt nebenan leben. Und dennoch lässt man sie nur über Klischees und Stereotype in das eigene Leben.

Schreibstil und Atmosphäre des Romans sind genau so melancholisch, wie die Protagonistin selbst. Besonders gelingt es der Autorin, die Leser über die Recherche und der Suche nach den Wurzeln ihrer selbst das Gefühl der Entwurzelung und des Alleinseins zu vermitteln. Denn obschon Doan mit einem Franzosen verheiratet ist und französische Reportagen schreibt, ist sie keine vollwertige Französin. Ebenso wenig ist sie Vietnamesin, denn die Vergangenheit ihrer Eltern liegt für sie im Dunkeln, deren Werte hat sie bereits in der Jugend zurückgelassen, um sich der französischen Gesellschaft anzupassen.

Doan Bui zeigt anhand der eigenen Lebensgeschichte auf, wie schwierig es ist, sich in einer fremden Gesellschaft mit einer fremden Kultur zu integrieren, selbst wenn man in dem Land geboren wurde.

Das Schweigen meines Vaters, Doan Bui, Roman, Sujet Verlag, Bremen 2018.

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