-TABU BRECHEN-

Schein und Sein eines Studentinnenlebens

von Sofie

Das Bachelorstudium

An der Oberfläche:

Studienabschluss in Regelstudienzeit nahtlos an den Schulabschluss in Regelschulzeit gereiht. Auslandssemester, fleißig Lektüre gelesen, mit Leichtigkeit ein Pensum von mehr als 30 CP pro Semester absolviert.

Unter der Oberfläche:

Suizidgedanken und Ängste von Kindesbeinen an.

Ein längerer Psychiatrieaufenthalt in der Oberstufe, der mich fast die Versetzung gekostet hätte. Seitdem ambulante Psychotherapie und fast so lange Pharmakotherapie, also jeden Abend kleine bunte Pillen.

Sehr gutes Abitur, obwohl ich mit der äußerst diffizilen Aufgabe beschäftigt war, meinem Psychotherapeuten zu vermitteln, dass es mir ziemlich schlecht ging, aber auch nicht ganz so schlecht, dass er Maßnahmen zu meinem Schutz ergriffen (ergo: mich in die Geschlossene eingewiesen) hätte. Denn das hätte ja meinen Lernplan durcheinander gebracht.

Im Sommer zwischen Abitur und Studium der nächste Psychiatrieaufenthalt. Zweifelsohne eine wertvolle Horizonterweiterung. Aber nicht ganz der Art, wie sie wohl die ehemaligen Mitschülerinnen erlebten, die mit dem Rucksack durch die Welt reisten.

In den ersten Semesterferien noch ein Psychiatrieaufenthalt. 

In den ersten zwei Semestern regelmäßige Fahrten zu meinem Therapeuten am Heimatort, dann Therapie in Bremen.

In den ersten drei Semestern regelmäßige Teilnahme an der Gesprächsgruppe für Studierende mit psychischen Erkrankungen der psychologischen Beratungsstelle an der Uni.

Das bestandene Studium für mich:

Unter diesen Umständen insgesamt ein großer Erfolg, der mich im Sommer zwischen Bachelor und Master zu Tränen rührte. Nur Freundschaften hatte ich nicht geschlossen, denn das kann schwierig werden, wenn man schwierig ist und Angst vor Menschen hat.

Das bestandene Studium für normale Menschen: Eine Selbstverständlichkeit, da ich noch nicht einmal nebenbei Geld verdienen musste?

Für das Masterstudium würde ich in Bremen bleiben, denn hier bekam ich Psychotherapie und Medikamente. An einen anderen Ort und zu einem anderen Therapeuten zu wechseln hätte die Krankenkasse nicht bezahlt und ich mich nicht getraut.

Im Idealfall hätte sich meine Erfolgsgeschichte im Master nahtlos fortgesetzt. Leider sollte es anders kommen.

 

Das Masterstudium

Nach wenigen Wochen erlebte ich einen ungeahnten Absturz. Ich saß mit einer Panikattacken-Dauerschleife auf meinem Bett und wurde binnen kürzester Zeit zur Scheintoten: Schlafen, essen, trinken, duschen – alles zu viel. Ich glaubte, jeden Moment zu sterben. Schnell schlich sich der Gedanke ein, dass ich meinen Tod vielleicht besser selbst in die Hand nehmen sollte, als hilflos auf ihn zu warten.

Es folgten: Die lokale Akutpsychiatrie und später eine spezialisierte Einrichtung, in der ich primär ein normales Essverhalten wieder erlernen sollte. Nachdem ich dort irgendwie den Jahreswechsel überlebt hatte, nahmen meine Panikattacken und Suizidgedanken langsam ab.

Zum Sommersemester konnte ich wieder ins Studium einsteigen, aber von der Hochleistungsstudentin aus dem Bachelor war nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen: Ein reduziertes CP-Pensum, durch das ich mich mit Antriebslosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten quälte. Außerdem sitzt die Angst mir immer noch im Nacken: Oft genug ist es eine Herausforderung, das Haus zu verlassen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und nicht aus der Bibliothek zu fliehen. Trotzdem habe ich im Vergleich zum Beginn des Masterstudiums viel erreicht.

 

Die Zukunft

Mein Traum: Masterarbeit abgegeben, Tabletten abgesetzt und nicht wieder abgestürzt.

 

Die Universität Bremen

Bestimmte Strukturen an der Universität erleichtern ein Studium mit chronischer psychischer Erkrankung: Es gibt keine Studiengebühren, keine Anwesenheitspflicht und eine großzügige Anzahl an Prüfungsversuchen (wenn man nicht gerade Jura studiert). Meines Erachtens sollte die Universität aber offensiver auf Hilfsmöglichkeiten für psychisch kranke Studierende aufmerksam machen. Es hängen Plakate aus, aber was sagt das schon darüber aus, wie weit Inklusion auch gelebt wird?

Weil ich bereits krank an die Uni kam, suchte ich aktiv nach Angeboten, sonst hätte ich manche vielleicht nicht gefunden: Ich bekam sehr schnell einen Termin bei der psychologischen Beratungsstelle. Außerdem nutzte ich Einrichtungen, die generell für beeinträchtigte Studierenden und nicht ausschließlich für Studierende mit psychischen Erkrankungen zuständig sind. Meine Erfahrungen damit waren gemischt, aber ich möchte positiv hervorheben, dass ich in der Orientierungswoche an einem geschützten Einführungsgespräch für beeinträchtigte Studierende teilnehmen und mich in die Liste für den Schlüssel für den Ruheraum eintragen lassen konnte.

Den Schlüssel brauchte ich zum Glück nicht und selbst wenn, hätte ich ihn wohl nicht genutzt, weil es mir viel zu peinlich gewesen wäre, vor allen wartenden Menschen an der Bibliotheksgarderobe danach fragen zu müssen. Es war mir schon unangenehm genug, regelmäßig den Weg zur Beratungsstelle einzuschlagen und dabei potenziell beobachtet werden zu können.

Ich würde mir wünschen, dass Lehrende in ihren Veranstaltungen darauf hinweisen, dass man Nachteilsausgleiche erhalten und individuelle Absprachen treffen kann. So würden sie vielleicht ein Bewusstsein für (unsichtbare) individuelle Hürden signalisieren. Ich selbst habe mich jedenfalls nie getraut, Lehrenden gegenüber die Wörter „psychische Erkrankung“ zu verwenden, weil ich Angst hatte, ausgelacht oder als durchgeknallt abgestempelt zu werden.

 

Schlussworte

Liebe Studierende, ich würde euch empfehlen, euch möglichst schnell um Hilfe zu kümmern, wenn ihr Probleme habt: Ob nun bei der psychologischen Beratung der Hochschulen, anderen spezialisierten Beratungsstellen oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Je schneller ihr handelt, desto weniger können sich eure Probleme verfestigen. Außerdem lassen sich Therapien oder längere Auszeiten oft besser mit einem Vollzeitstudium als später mit einem Vollzeitjob vereinbaren.

 

Wenn Ihr Hilfe benötigt, wendet Euch an die Psychologische Beratungsstelle der Universität Bremen unter: (0421) 22 01 – 1 13 10  pbs@stw-bremen.de  oder bei der TelefonSeelsorge Bremen unter:

0800 – 111 – 0 – 111 

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