„Studiengebühren wird es mit uns nicht geben“

11 Fragen an Maike Schaefer (Bündnis 90/Die Grünen)

Selten zuvor wurde den Bremern und Bremerinnen an einem einzigen Tag so viel politische Verantwortung zuteil, wie es am kommenden Sonntag der Fall sein wird. Zeitgleich mit der omnipräsenten Europawahl, durch die die Weichen für das kommende Europaparlament gestellt wird, findet hier die Bürgerschaftswahl statt. Wir haben im Vorfeld die Kandidaten und Kandidatinnen um ein kurzes Interview gebeten. Unser Augenmerk lag dabei natürlich auf studentischen Belangen und den drängenden Problemen unserer Stadt.

Diesmal steht uns Grünen-Kandidatin Maike Schaefer Rede und Antwort.

Die Antworten dieser Interview-Reihe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinungen der Redaktion wieder.

Frau Schaefer, wie wollen Sie dafür sorgen, dass es mehr bezahlbaren Wohnraum für Studierende gibt?

Wir haben ein Programm für mehr Studi-Wohnheime aufgelegt. Noch in diesem Jahr entsteht ein Wohnheim mit 75 Plätzen auf dem Ellener Hof. Für 2020 ist der Bau von vier weiteren Studi-Wohnheimen in der Neustadt, in Walle, in Horn-Lehe und nahe der Hochschule Bremerhaven vorgesehen. Diese müssen mindestens 500 Wohnplätze bieten. Zudem entstehen derzeit drei private Wohnheime mit insgesamt 525 Plätzen. Wir haben den Senat auch aufgefordert, die Umwandlung von verfügbaren Flüchtlingsunterkünften für eine Umnutzung zu prüfen. Neben dem Fächerangebot und der Gebührenfreiheit ist gerade die Wohnsituation für Studierende ein entscheidender Faktor bei der Attraktivität Bremens als Studienort. An weiteren Neubauten mit einem hohen Anteil erschwinglicher Wohnungen zur Entspannung des Mietmarktes führt kein Weg vorbei. Gleichwohl müssen wir mit Blick auf den Klimawandel darauf achten, dort zu bauen, wo Bremen bereits versiegelt ist. 

Wie stehen Sie zu einer Erhöhung des Tarifs für studentischen Hilfskräfte, der in Bremen niedriger ist als etwa in Berlin?

Die studentischen Hilfskräfte erhalten ab 1. Juli den neuen Landesmindestlohn. Er beträgt 11,13 Euro pro Stunde und liegt damit über dem bisher gezahlten Tarif von 9,19 Euro. Diesen Punkt haben wir Grünen bei den Verhandlungen zum just beschlossenen Landesmindestlohngesetz gegen die SPD durchgesetzt. 

Gerade Studierende sind gerne mit dem Rad unterwegs. Sollte das Bremer Verkehrsnetz zugunsten von Radfahrern ausgebaut und sicherer gemacht werden?

Mit grüner Regierungsverantwortung ist Bremen jüngst als fahrradfreundlichste Großstadt in Deutschland ausgezeichnet worden. Der Verkehrsanteil des Fahrrads liegt in Bremen bei 25 Prozent. Hier entsteht in der Neustadt das bundesweit erste Fahrradmodellquartier. Der Umbau Bremens zur Fahrradstadt muss angesichts des Klimawandels noch viel weiter voranschreiten. Wir wollen die Mittel für den Radverkehr ab 2020 vervierfachen, um mit einer fahrradfreundlichen Infrastruktur mehr Anreize zum umweltfreundlichen Umstieg zu schaffen. Dazu gehört die Umsetzung der bereits geplanten Fahrradhighways von Süd nach Nord und Ost nach West. Dazu gehören neue Radbrücken über die Weser, um die Stadt besser zu verbinden. Dazu gehören aber auch breitere Radwege, mehr Fahrradstraßen, eingefärbte Warteflächen an Kreuzungen, geschützte Radfahrstreifen. Der Platz für den Rad- und Fußverkehr darf nicht länger hinter dem immensen Platzverbrauch für den Autoverkehr zurückstehen. Die Stadt profitiert davon, wenn noch mehr Menschen Rad fahren: Die Lärmbelastung und der klimaschädliche CO2-Ausstoß sinken, die Luftqualität verbessert sich, die Lebensqualität steigt.

Der Platz für den Radverkehr darf nicht länger hinter dem Platzverbrauch für den Autoverkehr zurückstehen

 

Wie stehen Sie zu Volksentscheiden und grundsätzlich zum Mitgestaltungsrecht der Bürger am politischen Geschehen?

Wir haben die Hürden für Bürgeranträge und Volksabstimmungen deutlich gesenkt. Damit gehört Bremen zur Spitzengruppe mit den bürgerfreundlichsten Verfahren. Dies bedeutet aber nicht, dass Politik und die Initiator*innen eines Volksbegehrens in jedem Fall zu einer Einigung kommen. Beispiel dafür ist die derzeit abgeriegelte Rennbahn. Während die Initiative benachbarter Anwohner*innen dort jegliche Bebauung verhindern will, wollen wir aufgrund des Wohnraummangels und der hohen Mieten in Bremen halbe-halbe: Die eine Hälfte des Areals soll ohne Hochhäuser ökologisch und sozial bebaut werden, die andere Hälfte als Paradies für Biene, Schmetterling & Co. aufgewertet und für Sport und Naherholung genutzt werden. Unabhängig davon wollen wir das bürgerschaftliche Engagement weiter stärken. So soll Bürgerbeteiligung über die gesetzlichen Vorgaben hinaus verstärkt werden – von Bürgerpanels über Zukunftskonferenzen bis zu moderierten Mediationsverfahren für konstruktive Konfliktlösungen.

In Bildungsstudien wie PISA und IQB belegt Bremen bundesweit regelmäßig den letzten Platz. Wie wollen Sie das Bildungsniveau verbessern?

Wir Grünen haben uns gemeinsam mit SPD, CDU und der Linken auf die Fortführung des Schulkonsenses verständigt. Damit verbunden ist ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Bildungsqualität. Ein zentraler Punkt ist das neue Institut für Qualitätsentwicklung, das die Schulen und Lehrkräfte gezielt bei der Unterrichtsgestaltung und Weiterentwicklung der schulischen Qualität unterstützen soll. Neben weiteren Punkten wie der früheren Sprachstandsfeststellung müssen die Investitionen in Bildung nochmals deutlich erhöht werden. Die Ausgaben pro Schüler*in müssen auf das Niveau der anderen beiden Stadtstaaten angehoben werden. Die soziale Schere klappt nicht alleine durch die Existenz der Oberschulen zu. Künftig müssen die Schulen mit den benachteiligtsten Kindern die besten Bedingungen zum Arbeiten erhalten. Das bedeutet mehr Ressourcen, starke Unterstützung und konzeptionelle Hilfe der Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen bei ihrer kräftezehrenden Arbeit. Um den Stundenausfall zu verringern, muss die Personalbemessung bei Lehrer*innen auf 105 Prozent gesteigert werden. Im Grundschulbereich wollen wir den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen voranbringen. Ganztagsschulen ermöglichen einen kindgerechten Rhythmus von Lernen und Erholen. Gerade die Grundschule legt das Fundament für die schulische Entwicklung der Kinder. Deshalb muss auch hier gelten, die Ressourcen und Qualität weiterzuentwickeln. Am Ende der Grundschulzeit sollte jedes Kind lesen, richtig schreiben und rechnen können.

Wie ist Ihre Haltung zur Digitalisierung im Bildungswesen, etwa WLAN an Schulen, interaktive Whiteboards oder Tablets für die Schüler?

Bremen nutzt die 48 Millionen Euro aus dem Digitalpakt, um die Digitalisierung an Schulen voranzutreiben. Neben dem Ausbau der WLAN-Versorgung an den Schulen geht es dabei auch um die technische Grundausstattung mit interaktiven Whiteboards und anderen Geräten. Digitalisierte Lerninhalte sind eine Ergänzung der Kulturtechniken. Neben der technischen Ausstattung von Schulen sind der mündige Umgang mit digitaler Technik und der kritische Blick auf Formate im Internet ebenso wichtig. Die Vermittlung von Medienkompetenz muss stärker im Lehrplan verankert werden. Auch die Ausbildung und Fortbildung von Lehrer*innen muss an die neuen Anforderungen angepasst werden.

Beim Thema öffentliches WLAN ist Deutschland gegenüber anderen europäischen Staaten im Rückstand. Möchten Sie dafür sorgen, dass es in Bremen mehr WLAN-Hotspots gibt?

Die City Initiative Bremen hat mit Förderung der Stadt inzwischen 13 Hotspots in der Innenstadt eingerichtet. Aber für die Free-Key-Verbindungen gilt: Je mehr Nutzer*innen gerade aktiv sind, desto langsamer wird die Verbindung. Denn das Datenvolumen wird unter ihnen geteilt. Auch in 16 Bremer Behörden vom Bürgerservicecenter über Sozialzentren bis zu Gerichten wird durch Open WLAN das kostenlose Surfen ermöglicht. Insgesamt gibt es im Land Bremen gut 800 öffentliche Hotspots – darunter viele der Freifunk-Initiative. Auf die Eingabe sensibler Daten wie beim Onlinebanking und –shoppen sollte man in offenen Netzwerken allerdings besser verzichten. Kurzum: Bremen unterstützt offenes WLAN, aber das hat angesichts der hohen Kosten und anderer mindestens ebenso wichtiger Aufgaben auch seine Grenzen.

Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass das Land Bremen seine Schuldenberg abbaut und wenn ja, an welchen Stellen sollte eingespart werden?

Wir haben den Haushalt unter einigen Zumutungen für die Bremerinnen und Bremer saniert. Das zahlt sich jetzt aus: Ab 2020 erhält Bremen im Zuge des neuen Finanzausgleiches jährlich 487 Millionen Euro mehr. Mit gut 80 Millionen Euro pro Jahr wollen wir die Altschulden tilgen und damit den Gestaltungsspielraum auch für nachfolgende Generationen zurückgewinnen. Die zusätzlichen 400 Millionen Euro jährlich werden wir nutzen, um vor allem in Bildung und Klimaschutz zu investieren. Dies ermöglicht z.B. eine höhere Grundausstattung für Hochschulen. Es sind 346 zusätzliche Stellen an den Hochschulen geplant, neben mehr wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind darunter auch 70 Professor*innen für die Stärkung der Lehre und neue Studiengänge. All dies haben wir mit dem Wissenschaftsplan 2025 bereits auf den Weg gebracht. Studiengebühren wird es mit uns nicht geben.

Studiengebühren wird es mit uns nicht geben

Sind die Maßnahmen zur Integration von geflüchteten Zuwanderern in Bremen ausreichend und wenn nicht, was muss verbessert werden?

Die Aufnahme von fast 18.000 geflüchteten Menschen in einem kurzen Zeitraum von drei Jahren hat Bremen auch dank der vielen ehrenamtlich engagierten Bremer*innen gut gemeistert. Die Erstintegration ist gelungen. Jetzt geht es darum, die Integration dauerhaft zu gestalten. Dabei setzen wir auf Spracherwerb, Bildung, Ausbildung und Erwerbstätigkeit für alle Menschen. Für Unterstützungsangebote in diesen Bereichen gibt Bremen im aktuellen Haushalt 50 Millionen Euro aus. Die Angebote reichen von kommunalen Sprachkursen mit Kinderbetreuung, die für alle Geflüchteten unabhängig vom Aufenthaltsstatus offen sind, über Wohnraumvermittlung bis zu Qualifikationsmaßnahmen. Neben der gesellschaftlichen Integration von Anfang an geht es nun verstärkt um Ausbildung und Arbeit. Dafür sind passgenaue Angebote inklusive berufsbezogener Deutsch-Kurse nötig. Die aufgelegten Programme tragen erste Früchte: So haben inzwischen fast 5300 Geflüchtete eine Arbeitsstelle bzw. einen Ausbildungsplatz in Bremen.

Bremen hat auch mit Kriminalität zu kämpfen, so etwa mit der Clan-Kriminalität. Wie gedenken Sie, die innere Sicherheit zu verbessern?

Bremen hat die Clan-Kriminalität im Gegensatz zu Berlin oder Nordrhein-Westfalen zwar inzwischen besser im Griff. Dennoch wollen wir, dass noch mehr getan wird. Dazu gehören mehr Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern, mehr behördenübergreifender Verfolgungsdruck durch Gewerbe-, Ordnungs- und Finanzamt, Amt für Soziale Dienste, Jobcenter und Zoll, mehr Vermögensabschöpfung. Aber auch mehr Integrationsangebote und mehr Ausstiegs- und Resozialisierungsprogramme sind nötig, um der Kriminalität den Nachwuchs zu nehmen. Für ein sicheres Bremen wollen wir eine bedarfsgerechte Stellenausstattung der Polizei. Deshalb bilden wir inzwischen 200 Polizeianwärter*innen pro Jahr aus. Für Bremen weist die Kriminalitätsstatistik für 2018 so wenige Straftaten aus wie seit 25 Jahren nicht. Für weitreichende Gesetzesverschärfungen, wie ein Polizeigesetz, gibt es keinen Grund. Wir lehnen den verdeckten Rundum-Spähangriff auf private Smartphones und Computer entschieden ab. Die Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei muss erhalten bleiben. Auch die Videoüberwachung, die über Kriminalitätsschwerpunkte und zeitlich befristete Maßnahmen hinausgeht, sehen wir kritisch. Wir verteidigen die Freiheits- und Bürgerrechte, die der Kern einer offenen und demokratischen Gesellschaft sind. Uns geht es um umsichtige Lösungen für konkrete Probleme, aber nicht um einen Überwachungsstaat.

Wir wollen einen Wechsel in der Drogenpolitik: weg von der Kriminalisierung hin zu mehr Prävention.

Was ist Ihre Haltung zu Cannabis? Soll es legalisiert werden oder nicht? 

Wir wollen einen Wechsel in der Drogenpolitik: weg von der Kriminalisierung hin zu mehr Prävention. In Deutschland ist der Besitz von Cannabis strafbar. Dennoch kiffen immer mehr Menschen, wie die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegen. Das zeigt: Die Verbotspolitik ist gescheitert. Für Cannabiskonsument*innen hat das Verbot erhebliche Folgen: Ihnen drohen Anklagen und Geldstrafen. Sie gefährden ihre Gesundheit, weil Cannabis auf dem Schwarzmarkt häufig mit Blei oder gemahlenem Glas gestreckt ist und einen zu hohen THC-Gehalt hat. Das bisherige Verbot erschwert den Gesundheitsschutz und nützt nur dem organisierten Verbrechen. Wir befürworten deshalb wie 120 Strafrechtsprofessor*innen und der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Entkriminalisierung. Unser Ziel ist die staatlich kontrollierte Cannabis-Abgabe an Erwachsene. Das würde Polizei und Gerichte für wichtigere Aufgaben entlasten, Einnahmen für mehr Prävention generieren und den Schwarzmarkt austrocknen.

Dieses Interview führte Florian Fabozzi.

Zur Person

Maike Schaefer wurde am 2. Juni 1971 im hessischen Schwalmstedt geboren und ist seit 2015 Grünen-Fraktionsvorsitzende in der Bremer Bürgerschaft. Nach einem Englandaufenthalt als Au Pair begann sie Mitte der Neunzigerjahre ein Biologiestudium an der Universität Bremen, das sie 1997 mit einem Diplom abschloss. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am ‘Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien’  (UFT) promovierte sie 2004 im Rahmen eines Bodensanierungsprojekts. Auch in den Folgejahren blieb sie dem Institut erhalten und untersuchte Umwelteffekte von Schadstoffen in Böden und Gewässern. Schaefer trat im Jahr 2002 den Grünen bei und wurde 2007 eine Abgeordnete der Bürgerschaft. Bei der Wahl zur Spitzenkandidatur der Grünen im vergangenen Jahr setzte sie sich gegen Co-Bürgermeisterin Karoline Linnert durch.

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