-TABU BRECHEN-
Apfel fall nicht neben den Stamm
von Jakob
Seitdem Jakobs Vater von der Brücke sprang ist die Zigarette sein bester Freund. Alles gute löst sich in Rauch auf oder kommt von oben! Oder – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Folie à deux, also irgendwie gemeinsam gestört und dann ist der eine weg und die Realität der anderen baut sich vor dir auf und es ist irgendwie doch nicht normal, dass Jakobs Vater sich in sein Zimmer einschloss, vor der Angst da draußen vergiftet zu werden. Von Wandfarbe, von Essen, von Parfüm, von WLAN. Medikamente auspendeln. Und dann kam das Frühjahr und dann kamen Vögel und die zwitscherten … und zwitscherten. Und dazwischen war die Polizei da und die zwitscherten. So richtig hatte er sie nie verstanden, was sie da erzählten von der Brücke und dem Vater. Jakob wollte dann da nicht bleiben, im kleinen Dorf, in Schwaben, denn die guckten alle plötzlich und wollten wissen wie es weitergeht. „Kopf hoch Junge! Erstmal aufn Sportplatz und Gas geben! Der Jakob kennt nur ein Gas – Vollgas!“, sagte Nachbar Matze zu Jakob am Tag der Beerdigung.
Dann stand er eines morgens mit der Sporttasche am Hauptbahnhof in Bremen. Einfach so. Erstmal zur Weser und Moin sagen. Die ganze Zeit Moin sagen und niemals zu viel. Plötzlich war er vierundzwanzig und nur die Zeit damit verbracht, nicht vom Stuhl zu fallen aus Angst generell. Wenn der Hals auf der Brust zuckt und die Augen fast raus fallen, nicht lyrisch gemeint, sondern weil es sich neben dem Körper anfühlt und neben Sprache sowieso. Der Kloß im Hals, den brachte er mit aus Schwaben, da war er noch klein gewesen, also der Kloß. Ohne Vertrautes wurde der ganz groß und wenn Jakob spricht, denkt er nur daran fort zu sein von den Menschen, weil’s nicht auszuhalten ist gegen einen Weinkrampf zu sprechen. Irgendwann ist die Sprache zusammengefallen. Ähmvielleichtbisschen. Er begann sich so weit zu relativieren, fast aufgelöst war er da. Dabei dachte er immer an Menschen, die im Lager stehen, jeden Tag acht Stunden. So schlimm kann es nicht sein privilegiertes Arschloch.
An die Uni ging er. Vielleicht mehr um einen Schutzort zu suchen, als um zu studieren. Wenigstens einen Status und Ruhe vor Papierbehörden. Bücher las er gern, das war okay. Fiktion sowieso. Jakob verlor sich in Romanwelten: da verliebte er sich, tanzte und war humorvoll bis oben hin. Ganz klar war das nie, ob’s gerade bergauf geht oder endgültig in Bächen hinunter. Jakob sagte immer es geht bergauf, obwohl’s im Hals immer schlimmer wurde. Alle Bücher bestellte er nach Hause, denn vor der Bibliothek hatte Angst. Das war teuer, dann musste er doch hingehen, aber ging wieder nach Haus, weil’s nicht ging. Auch Einschlafen ging nicht, Wachbleiben auch nicht. Zwei Stunden Seminar können lange sein, wenn man beim Spucke schlucken krepiert oder denkt sich eingepisst zu haben, weil das Bein gerade warm wird. Am schönsten war die Grippe. Da schaute er alle Teile von der Pate. Vielleicht ist Jakob der erste Mensch, der drei Semester studierte, ohne ein Wort zu sprechen. Funktioniert, aber zu empfehlen ist’s nicht. Auch heute noch sagt er: es geht bergauf. Alles was hilft ist außerhalb der Uni. Alles was blockiert ist in der Uni. Alle reden immer vom Leistungsdruck. Der entsteht doch nur, weil man allein ist. Würde man reden, wär da auch weniger Druck. Druck kommt immer, ist man einsam. Bald ist es vier Jahre her, das mit Jakobs Vater und der Brücke, aber das ist gar nicht wichtig, wahrscheinlich nichteinmal der Grund. Am Ende zieht man die Gründe gerade so her, wie man’s braucht und das ist auch ein Teil von Jakobs Problem: er hat keine zusammenhängende Geschichte mehr über sich selbst, die er glauben könnte. Jakob sagt sich immer: grade geht’s bergauf. Das schöne, wenn die Dinge nicht mehr gelten, so wie früher, wo alles irgendwie klar war –, man kann alles überschreiben. Also sagen die, die an positives Mindsetting glauben, als wäre man eine Festplatte, die man zurücksetzen kann. Oder mach deine Darmflora gesund. Oder hol dir Tageslichtlampen. Bei sowas muss Jakob immer an seinen Vater denken. Algentabletten zum Mittagessen, Kinoa mit Ahornsirup zum Frühstück, gute Bakterien zum Duschen und Vitamin C Infusionen für tausende Euro. Oder nimm die Tabletten. Die machen wenigstens müde und die Leut kommen dem Jakob nicht mehr so nahe. Können ihn nur noch von außen berühren, aber nicht mehr reingreifen.
Am Ende wird alles gut, also für die Alles ein gutes Ende genommen hat. Nicht für Jakobs Vater und die vielen anderen. Jakob denkt sich: grade geht’s bergauf, die Vögel zwitschern und zwitschern und Apfel: fall nicht neben den Stamm.
Wenn Ihr Hilfe benötigt, wendet Euch an die Psychologische Beratungsstelle der Universität Bremen unter: (0421) 22 01 – 1 13 10 pbs@stw-bremen.de oder bei der TelefonSeelsorge Bremen unter:
0800 – 111 – 0 – 111
“Würde man reden, wär da auch weniger Druck. Druck kommt immer, ist man einsam.” – So wahre Worte, nur fällt es oft schwer die richtigen Leute und Worte zu finden…