-TABU BRECHEN-

Ein ganz normaler Tag

von Arved

Erste Vorlesung. Großer Hörsaal. So viele Menschen. Ich sitze in der obersten Reihe, möglichst weit weg von allem. Ich probiere ruhig zu atmen, doch meine Lunge fühlt sich beengt an, wie gefesselt. ‚Nicht jetzt‘, denke ich. Prof. Hepp läuft hin und her und erzählt irgendetwas; folgen kann ich ihm dabei nicht. So viele Menschen. Ich versuche mich zu konzentrieren, nicht darauf zu achten, was mein Körper gerade macht. Dumme Idee. Meine Hände werden kalt, fangen an zu schwitzen. Ich schaue mich um. Alle schauen nach vorn, folgen dem Vortrag. Jemand lächelt mir zu. Ich würde gerne zurücklächeln, doch ich kann nicht. Mein Herz pocht immer stärker. Warum ist es hier so hell? Hepp sagt irgendetwas, viele lachen. So laut. Mein Herz schlägt heftig, schnell. Ich kriege kaum Luft. ‚Bleib ruhig‘, sage ich mir selbst. Ich denke an die Atemtechniken, die angeblich beruhigen sollen. Langsam einatmen, noch langsamer ausatmen. Entspannen. Meine Hände fangen an zu zittern, mein Kopf dröhnt. ‚Ich muss hier raus‘, denke ich. Ich will aufstehen, doch ich kann nicht. Wieso kann ich nicht aufstehen?? Ich merke, wie sich die Panik in mir ausbreitet. Mein Körper verkrampft, meine Hände sind eiskalt. Wieso ausgerechnet jetzt? Erneut versuche ich, mich zu beruhigen. Langsam einatmen, langsam aus-… Ich muss schon wieder einatmen. Zu wenig Luft. Mein Atem wird flacher. Alles um mich herum verschwimmt. Wenn ich jetzt nicht hier raus komme, wird es scheiße. Mit aller Kraft bringe ich mich dazu, aufzustehen und meinen Rucksack zu packen. Ich gehe die Treppe runter, an den Sitzreihen vorbei, renne die Treppe runter zum Ausgang. Sieht man mir die Panik schon an? Ich weiß es nicht. Egal. Ich durchquere den Eingangsbereich, haste nach draußen. Kalte, frische Luft empfängt mich. Ich atme auf. Es ist still, dunkel. Kein Mensch ist zu sehen. Langsam wird mein Atem ruhiger, ich entspanne mich ein wenig. Etwa zehn Minuten später geht es mir wieder etwas besser und ich mache mich auf den Weg nach Hause.

Seit diesem Tag war ich nur in insgesamt sechs Vorlesungen. Im kleinen Hörsaal ist es besser, wenn auch nicht gut. Ich weiß nicht genau, warum mein Körper tut was er tut, ich weiß auch nicht, was der Auslöser ist, aber große Menschenmengen helfen auf jeden Fall nicht. Klar, manchmal kriege ich auch zuhause auf dem Sofa plötzlich Panikattacken, aber dann ist zum Glück jemand für mich da. Ich bin sehr froh darüber, eine Freundin zu haben, die mich versteht und in solchen Situationen alles tut, damit es mir schnell wieder besser geht und ich bin auch froh, dass es inzwischen (auch an der Uni) so viele Anlaufstellen für Menschen mit ähnlichen Problemen gibt.

Ich habe keine schwerwiegende psychische Krankheit, und meine Panikattacken sind zum Glück nicht so oft. Trotzdem schränkt es mich ein. Deswegen ist es mir auch wichtig, das hier zu schreiben. Leider werden psychische Probleme und Störungen noch immer nicht ernst genug genommen und häufig belächelt oder tabuisiert. Ich habe das Glück, eine Familie und einen Freundeskreis mit großem Verständnis für Dinge dieser Art zu besitzen, doch viele Menschen haben nicht so viel Glück. Da sind Sprüche wie „Stell dich nicht so an“, „Sei doch nicht immer so negativ“ oder „Jeder ist mal ein bisschen traurig“ noch das netteste.

Jeder kann Depressionen oder ähnliches bekommen, und es kann verschiedenste Ursachen haben. Wenn ihr Probleme habt, versucht nicht, sie zu unterdrücken oder dagegen anzukämpfen. Lasst euch helfen. Es ist nicht schlimm, zum Psychologen oder Therapeuten oder zur Beratung zu gehen, im Gegenteil. Denn selbst wenn man keine psychische Störung oder andere Probleme hat, hilft es dabei, sich selbst besser zu verstehen.

Und wenn jemand von seinen Problemen erzählt, dann sagt ihm nicht „Reiß dich mal zusammen“ oder „Das wird schon wieder“. Hört ihm einfach zu. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das meistens das Beste ist, was man tun kann.

Danke.

 

 

Wenn Ihr Hilfe benötigt, wendet Euch an die Psychologische Beratungsstelle der Universität Bremen unter: (0421) 22 01 – 1 13 10  pbs@stw-bremen.de  oder bei der TelefonSeelsorge Bremen unter:

0800 – 111 – 0 – 111 

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