„Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden!“
Die April-Kolumne
Von Paulina Hemesath
Neulich saß ich mit alten Freundinnen zusammen bei der Gartenparty einer ehemaligen Klassenkameradin. Man sieht sich selten in dieser Runde, vielleicht zwei oder drei Mal im Jahr – da sollte man sich doch einiges zu erzählen haben! Während das Bier in rauen Mengen fließt, werden auch die Gespräche immer angeregter bis alle Stimmen regelrecht durcheinander gehen. Was hast du in letzter Zeit so gemacht? Ah, deine Bachelorarbeit geschrieben. Cool, hast du denn schon Ideen, wo es beruflich hingehen soll? Und sag mal, wann willst du eigentlich mit deinem Freund zusammen ziehen?
An diesem lauen Sommerabend werde ich mit allen Fragen konfrontiert, vor denen es mir bei jeder Familienfeier nur so graut. Während alle anderen regelrecht begeistert von ihren Plänen berichten, lehne ich mich zurück und lausche den Erzählungen: Zunächst das Studium abschließen, dann einen sicheren Job finden und mit dem Freund in eine hübsche Wohnung ziehen. Das Ganze am besten in den nächsten fünf Jahren und am liebsten in der alten Heimatstadt. Als sich die Gespräche plötzlich um Trauringe und Bausparverträge drehen, wird mir bewusst, dass sie diese Pläne wirklich ernst zu meinen scheinen. In meinem Kopf zeichnet sich langsam ein Bild der nahen Zukunft, welches auf den ersten Blick nahezu schreit: Ganz schön spießig!
Nicht nur mein Freundeskreis, sondern unsere gesamte Generation ist laut Wissenschaft auf dem Weg in die Spießigkeit. Die sogenannte “Generation Y”, zu welcher alle in den 80er und 90er Jahren Geborenen zugeordnet werden, ist geprägt durch ein starkes Streben nach Sicherheit und Ordnung. Wir wollen einen gefestigten Alltag mit sicherem Beruf und einem angemessenen Gehalt, aber gleichzeitig auch viel Zeit für Privates wie Familie und Freunde haben. Das klingt doch nicht unbedingt schlecht, vielleicht ein bisschen nach dem, was unsere Elterngeneration uns bereits vorgelebt hat. Statt Rebellionen im Stile der 68er Bewegung eifert die Generation Y ihren Eltern nach. Doch machen uns solche Wünsche wirklich schon zu Spießern?
Die Generation Y ist geprägt durch ein Streben nach Sicherheit und Ordnung.
Wirft man einen Blick in den Duden lässt sich schnell eine schmissige Definition für Spießer ausfindig machen: Es handelt sich um engstirnige und provinzielle Menschen, welche Neuerungen ablehnen und vermehrt an alten Grundsätzen festhalten. Diese Umschreibung trifft mit Verlaub weder auf meinen Freundeskreis noch auf unsere Generation zu: Wir sind liberal, modern und stehen der Welt offen gegenüber. Auch wenn sich viele ein Leben wünschen, das in geregelten Bahnen verläuft, schränkt uns das nicht ein, reisefreudig und risikobereit durch Studium oder Ausbildung zu gehen. Ob Auslandssemester, Praktika oder Nischen-Studiengänge – uns stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung und wir machen Gebrauch davon.
Auch wenn spießig aus meiner Sicht nicht der passende Begriff zu sein scheint, lässt sich der Drang nach einem sicheren und geordnetem Leben in unserer Generation nicht von der Hand weisen. Kein Wunder, wenn einem alle Wege offen stehen, kann man auch eine Menge falsch machen. In einer Zeit voller Unsicherheiten wie dem Klimawandel, dem Terrorismus und den Finanzkrisen sowieso. Sich an Zielen zu orientieren, die sich etwa in früheren Generationen schon bewährt haben, erscheint als logische Schlussfolgerung. Wenn uns alle Wege offen stehen, warum nicht auch die alt bewährten?
Alles erinnert ein bisschen an die bekannte Fernsehwerbung für einen Bausparkasse, in welcher eine Tochter mit ihrem Papa in einer alternativen Wohnwagensiedlung lebt. Das Mädchen berichtet von Freunden, die in einem Haus wohnen, wo jeder sein eigenes Zimmer hat und von dessen Dach man die ganze Stadt sehen kann. Der Papa entgegnet “Alles Spießer!”, worauf die Tochter antwortet trocken “Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden!”. Damals funktionierte der Witz mit den verdrehten Rollen von Anarcho-Papa und Spießer-Tochter noch – heute würden sich die Beiden bestimmt schnell darüber einig werden, welche Unterkunft ihnen erstrebenswerter erscheint.