Wir brauchen es ständig, schnell und simpel

Der Medienkonsum der Generation Z

Von Nathalie Schrader

Medien, die aufmerksamkeitserregendes Bild-, Video- und Textmaterial vereinen, stehen vor allem bei Jugendlichen hoch im Kurs. Diese sogenannten Hybridmedien überschwemmen den Medienmarkt heutzutage regelrecht mit ständig wechselnden Neuerungen und Angeboten. Sicher ist: Die Nutzung steigt. Waren die frühen Anwender*innen des sozialen Netzwerkes Facebook 2004 noch ausgefallene Technikfreaks, wird heute belächelt, wer nicht in diesem und ähnlichen Medien angemeldet ist. Dabei ist es längst nicht bei Facebook geblieben: Der größten Beliebtheit erfreuen sich in Deutschland die Apps WhatsApp, Instagram, Snapchat und TikTok, von Partnervermittlungsportalen wie Bumble oder Tinder einmal abgesehen. Eines haben all diese Plattformen gemein: Sie ermöglichen ihren Nutzern den schnellen und ständig wechselnden Konsum aus Foto-, Ton-, Video- und Textmaterial. Interaktiv kann zumindest in der Theorie jeder teilhaben und gesehen, gehört, gelesen werden. Die Nachfrage nach „klassischen Massenmedien“ wie der Zeitung oder dem Radio stagniert. Insbesondere Jugendliche ziehen die sozialen Onlinemedien den Printmedien in ihrer Informationsbeschaffung vor. Die tägliche Internetnutzung der zwölf- bis 19-Jährigen verdoppelte sich in den letzten zehn Jahren beinahe auf über dreieinhalb Stunden im Durchschnitt. Doch was schmälert das Interesse für die herkömmlichen Medien gerade bei Jüngeren so sehr? Welche Reize sprechen soziale Netzwerke hingegen an?

Bezahlung ohne Geld

Der Kostenpunkt für den Konsum eines Mediums liegt bei den Printmedien ebenso wie beim Fernsehen und Rundfunk deutlich höher als bei sozialen Apps. Jedoch beschränkt sich dieser Vergleich auf den kurzfristigen, materiellen Preis für die Mediennutzung. Anders als bei den klassischen Massenmedien generieren die Entwickler*innen einer sozialen Plattform Einnahmen über gesammelte Daten und personenspezifizierte Werbung. Die Algorithmen, also die schematischen Rechenvorgänge hinter einer App, verfolgen das Konsumverhalten eines jeden Nutzers. So erhält dieser passgenaue und bedürfnisorientiere In-App-Werbung und bezahlt das Medienangebot mit seinen privaten Daten. Langfristig ist der Ertrag aus dieser Datenspeicherung für die Betreiber*innen einer Plattform enorm, sodass die Apps kostenlos angeboten werden können – der kurzfristige Kostenvorteil für die Konsument*innen ergibt sich. Wer stattdessen beispielsweise eine Zeitschrift erwerben möchte, überlegt sich vorher genauer, ob der Kauf sich lohnt und alle Artikel lesenswert scheinen.

Effizienz und Selektion

Die sozialen Netzwerke hingegen ermöglichen die spontane Selektion von Beiträgen – ohne schlechtes Gewissen, denn Inhalte sind jederzeit wieder abrufbar. Jedenfalls suggeriert die Struktur der Plattformen uns diese dauerhafte Replizierbarkeit. Nebenbei selektiert der Algorithmus dieser Medien Inhalte für den Nutzer vor. Es mutet an, als habe der Konsument die ständige Möglichkeit, aus einem schier unendlichen Informationspool frei zu wählen. Jedoch geschieht das Gegenteil: Das den Nutzern dargelegte Angebot ergibt sich schließlich aus ihren vergangenen Konsummustern. Als lägen im Kiosk lediglich Zeitungen zu den Themen Sport, Astronomie und vegane Küche aus, wenn der Kunde zuvor Zeitschriften über diese Wissensgebiete gelesen hat. Diese Vorsortierung ließe sich als Entmündigung kritisieren. Für den Nutzer selbst erscheint sie allerdings meistens positiv. Denn sie fördert bequeme Suche und rasche Informationsberieselung, ohne dass eine vorangehende Prüfung diverser Inhalte nötig wäre.

Die Welt der soziale Medien: Nur Fluch oder auch Segen? Das diskutierten wir in der ersten Ausgabe des SchallWerfers. Hört mal rein!

Die neuen sozialen Medien erfüllen das Effizienzideal der westlichen digitalisierten Welt. In alten Massenmedien lässt es sich schlechter „vorspulen“. Man benötigt mehr Konzentration und Geduld. Die Nutzer*innen erhalten in den sozialen Netzwerken hingegen das Gefühl, viele Inhalte und Informationen in kurzer Zeit präsentiert zu bekommen. Gefällt eine Überschrift nicht auf Anhieb, gestaltet sich das Weiterscannen, also das Absuchen nach bedürfnisbefriedigenden Contents, einfach. Dass diese Netzwerke Bild, Ton, Text und Video fast allesamt bündeln, verstärkt den Eindruck des universellen Zugriffes. Nicht nur in den Darstellungsformen, auch in den Inhalten werden die sozialen Netzwerke mit voranschreitender technischer Entwicklung universeller. Alle Themenbereiche, von Mode über Politik bis zu kulturellen Angeboten, können abgedeckt werden. Zudem passen diese Hybridmedien, auf dem Smartphone abrufbar, in jede Tasche und eignen sich somit augenscheinlich optimal für die Wissensanhäufung zwischendurch und überall.

Der Wettlauf mit den Trends

In unserer globalisierten Welt ist es ein Prestigezeichen, über ein breites Spektrum internationaler Geschehnisse Bescheid zu wissen. Die sozialen Medien scheinen diesen globalen Zusammenhang stets zu fokussieren. Zusätzlich vermitteln sie dem Nutzer mittels interaktiver Strukturen, wie Kommentar- und Bewertungsfunktionen, das Gefühl, teilhaben und beeinflussen zu können. Und dadurch selbst zu Produzent*innen zu werden. Vor allem jüngere und beeinflussbare Menschen sind anfällig für das Gefühl, komprimierte Informationen auf schnellem Weg aus aller Welt zu erhalten. Das Bedürfnis, „up-to-date“, also auf dem Laufenden zu sein, wird dadurch gestillt und erneut angeregt. Selbstredend gibt es auch in den sozialen Netzwerken regionale und themenspezifische Nischen. Der größte Teil der einflussnehmenden Produzenten, bestehend aus Medienanstalten und populären „Influencern“, deckt jedoch ein breites, unspezifisches aber stets sensationelles Themengebiet ab. Auffällig dabei ist, dass Richtigkeit und Genauigkeit der Beiträge im Allgemeinen unter der Informationsfülle leiden und Polemik weichen. Ähnlich ergeht es der Meinungsvielfalt. Angesehen und damit stark repräsentiert sind in den sozialen Medien vornehmlich angebliche Konsensmeinungen. Wie fließt der Strom? Was ist im Trend?

Viele Jugendliche finden bei Instagram und Co ersehnte Antworten auf diese Fragen. Das Belohnungsgefühl, etwas gesehen und eventuell auch verstanden zu haben, stellt sich schnell ein. Plakative Vergleichsmöglichkeiten vermitteln außerdem das Gefühl, zugehörig zu sein – zumindest, wenn die eigenen Meinungs- und Selbstbilder sich mit der verbreiteten, öffentlichen Meinung überschneiden. Der Serotonin- und Dopaminausstoß, den Likes und andere positive Bestätigungen der persönlichen Meinung und des Selbst auslösen, wirkt befriedigend. Die sozialen Medien nutzen diesen Wirkungsmechanismus der Glücksgefühle. Stellen sie sich nicht oder nur verzögert ein, erscheint ein vermeintlicher Mangel. Wer die Interaktion vernachlässigt, wird vom Algorithmus mit geringerer Sichtbarkeit bestraft. In einer Zeit, in der jeder möglichst sichtbar sein möchte. In einer Zeit, in der jeder alles leisten können muss. Andauernde Bestätigung und Universalinformationen erscheinen erstrebenswert. Dass diese auf Dauer oft gehaltloser, unreflektierter und damit undifferenzierter sind, ist nicht auf den ersten Blick bemerkbar und lässt sich leicht verdrängen.

Ein erhöhter Konsum von sozialen Medien wird nicht zuletzt auch durch den aktuellen Lockdown gefördert. Wie man den Lockdown sinnvoller und produktiver nutzen kann, erklären wir euch in der neuesten Ausgabe des SchallWerfers!

Dass diese Suchtspirale nach Anerkennung und ständiger Befriedigung die Frustrationstoleranz und Geduld senkt, ist offenkundig. Ob unsere sich wandelnde Mediennutzung aber auch das Konzentrationsvermögen schwächt, wird unter Wissenschaftler*innen leidenschaftlich diskutiert. Die Kognitionswissenschaftlerin Maryanne Wolff äußerte sich dazu im Deutschlandfunk wie folgt: „Sein Geist (…) wird von einem Reiz zum nächsten schwirren, seine Aufmerksamkeit wird sich in ihrer Beschaffenheit ganz allmählich verändern.“ Unser mediales Konsumverhalten verändert also unsere Aufmerksamkeitsspanne. Ob das rein negativ zu betrachten ist, oder auch positive Folgen hat, bleibt vorerst Spekulation. Diese unbestimmte Entwicklung lässt sich allerdings nicht nur auf die sozialen Netzwerke münzen, zeigt sie sich doch gesamtgesellschaftlich durchdringend.

Print vs. Digital

Studien haben ergeben, dass das auf Papier gelesene Wort stärker ins Langzeitgedächtnis eintritt, als auf dem Bildschirm Gelesenes. Beim digitalen Lesen verstecken sich außerdem allerlei Ablenkungen. Von einem Tab lässt es sich schnell zum nächsten wechseln. Die Kniffe des Internets bieten oft außerdem animierte Extrafeatures, sowie Tonmaterial. Lediglich die Menge an Bildern pro Textabschnitt verhält sich zwischen Print- und Onlinemedien ähnlich. Nur bieten soziale Netzwerke eben allem voran auch reizvolle Video- und Bildbotschaften. Beim Konsum derer wird das Gehirn mit Reizen überflutet. Bilder, Stimmen, Musik und Effekte vermischen sich und es erfordert große Anstrengung, daraus Wissenswertes zu filtern. Das Tempo dieser Mediendarstellung hat sich ganz dem Zeitgeist entsprechend in den letzten Jahren vervielfacht, die folgende Reizüberflutung folgt ihr nach. Beim Lesen hingegen erfolgen im Gehirn komplexe Vorgänge, Informationen werden parallel verarbeitet. Koppelt sich die erhöhte Anstrengung beim Rezipieren von zum Beispiel Videoinhalten bei TikTok mit dem Suchtfaktor dieses Konsums, verwundert es wenig, dass die Konsumenten oft von großem Stresspotential berichten. Dieses lässt sich kurzfristig durch erneute Bedürfnisbefriedigung über die Apps speisen. An dem Punkt ist der Kreislauf bereits in vollem Gange.


Massenmedium: Der Begriff des Massenmediums bezeichnet mit allgemein solche Medien, die sich einseitig und indirekt an ein Publikum richten. Einseitig bedeutet, dass sich die Medienschaffenden an die Rezipienten wenden, ohne dass diese direkt darauf reagieren können. Indirekt bedeutet, dass die Botschaften über technische Verbreitungsmittel, wie Zeitungen, Fernseher usw. verbreitet werden.

Mediennutzungsvergleich im Durchschnitt 2020:
Video: 216 min/Tag
Audio: 181min/Tag
Text: 54min/Tag

Appnutzung im Durchschnitt 2020:
Ca. 1h/Tag, Appwechsel ca. alle 72s

Der Anreiz des Neuen, den die sozialen Medien zweifelsohne wecken, bleibt kontinuierlich. Die in der Software programmierten Algorithmen verändern das Netz nämlich ständig von selbst: Indem sie es erneuern, anpassen und verbessern. Was in unserer Timeline erscheint, kommt nie alt und ausgelutscht daher. In Anbetracht der Tatsache, dass so viele Apps kluge Algorithmen mit ansprechendem Design kombinieren, verwundert es kaum, dass der Innovationsdruck auf dem digitalen Entwicklungsmarkt so hoch ist. Die herkömmlichen Massenmedien können diesem Druck oft nur standhalten, wenn sie sich in den sozialen Medien einen eigenen Kanal zulegen oder zumindest im Onlinejournalismus mitwirken.

Medien im Kommerz

Experten wie der Medienwissenschaftler Jürgen Habermas kritisieren diesen Strukturwandel. Der Druck der Medienkommerzialisierung dünne objektiven, nuancierten und gehaltvollen Journalismus aus. Gar mache er aufmerksamkeitsheischende Schlagzeilen in den Medien zu einer Notwendigkeit, um zu wettbewerbsfähig zu bleiben und folglich als Medienanstalt zu überleben. Der Mensch entferne sich durch den Medienwandel, aber auch durch die oft unsachliche Darstellung von Inhalten von seiner differenzierten Kritikfähigkeit.
Offenkundig ist: Die Massenmedien passen teils nicht mehr in das Tempo der jungen Generation des 21. Jahrhunderts. Sicherlich werden sie noch lange einen großen Teil unseres Medienrepertoires ausmachen und zumindest in Nischen bedeutungsvoll bleiben. Um wettbewerbsfähig zu bleiben ist es notwendig, dass sie sich strukturell verändern und neuen Bedürfnissen anpassen. Aber es liegt auch bei jedem einzelnen Medienkonsumenten, sein Nutzungsverhalten kritisch zu hinterfragen und die eigene Informationsbeschaffung zu durchleuchten. Alle Medien haben eine Daseinsberechtigung und spezifische Vorteile. Wie, wann und wofür wir welche Medien nutzen, haben wir selbst in der Hand.

Das könnte dich auch interessieren

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *