Der bravouröse Bernhard – Kapitel 5
Eine Fortsetzungsgeschichte
Von Florian Fabozzi
Der Mann mit dem Hut, der nun doch nicht Bernhard ist, steckt sich eine Zigarre an. Er bietet auch der Tanne eine an, die allerdings ablehnt.
“Zwanzig unserer Männer wanderten in den Bau. Wir anderen mussten eine Weile untertauchen und uns einen neuen Unterschlupf suchen, nachdem die Polizei eine Razzia in unserem altem Restaurant durchführte und vieles beschlagnahmte. Deswegen haben wir in Folge dieses Gebäude hier, versteckt am Waldrand, besetzt und restauriert.”
Tanne folgt den Erklärungen konzentriert und gespannt.
“Unter den Gegenständen, die wir glücklicherweise retten konnten, befand sich das Zweithandy von Bernardo. Es ist nicht ungewöhnlich für uns, zwei Handys zu besitzen. Eines für den normalen Alltag und das andere für ‘das Geschäft’”.
Instinktiv greift Tanne nach dem Handy, das sie von dem kleinen Kind erhielt.
“Wir gingen also die Kontakte durch und wurden stutzig, als wir einen Chatverlauf mit einem gewissen ‘Il mago” lasen.”
Der Mann klang wieder so sanftmütig und väterlich wie bei seinem Telefonat im Auto.
“Es dauerte nicht lang, bis wir herausfanden, um wen es sich dabei handelte. Der Mann, den Bernardo als “Der Zauberer” betitelte, ist ein Fahrradmechaniker aus Flensburg.”
“Fahrräder?”, fragt Tanne irritiert nach.
“Naja, es ist eher eine Tarnung, für das, was er hauptsächlich tut. In Insiderkreisen ist er bekannt als der Mann, der Identitäten verschwinden lässt.”
Der Mann mit dem Hut erzählt anschließend ausführlich, wie “der Zauberer” die Person Karim Al-Habibi schuf und Bernardo Bravo sterben ließ. Karim wurde mit sämtlichen identitätsstiftenden Informationen ausgestattet: Von einem gefälschten Ausweis, Geburtsurkunde bis hin zu einer neuen Sozialversicherungsnummer. “Der Zauberer” überließ dabei nichts dem Zufall. Er konstruierte für Karim sogar einen Familienstammbaum mit minutiös ausgearbeiteten Werdegängen, sodass keine Zweifel mehr an der realen Existenz des aus dem Libanon stammenden Karim Al-Habibi bestehen konnte. Da sich der Zauberer als wenig kooperativ erwies, mussten sie all diese Informationen aus ihm herausprügeln.
“Es ist mir ein Rätsel, warum er nicht im staatlichen Zeugenschutzprogramm untergekommen ist. Aber vermutlich trägt er immer noch einen Funken Ehre in sich.”
Tanne erhebt die Stimme: “Und mir ist es ein Rätsel, was Josh und ich genau mit Karim, ähm,
Bernardo zu tun haben, abgesehen davon, dass wir für ihn arbeiten oder arbeiteten!”
“Wir suchen jemanden, der Bernardo in unsere Arme lockt, damit wir ihn ausknipsen können.”
“Ich habe Josh sehr gerne, aber er ist ein halbes Hähnchen. Er ist nicht der richtige Mann für sowas!”, gibt Tanne zu Bedenken.
“Irgendwo mussten wir ja ansetzen. Bravos Umfeld besteht nur aus seiner Frau und seinen zwei Kindern auf der einen, und der Arbeit auf der anderen Seite. Er scheint keine Freunde zu haben. Es erschien uns auch nicht ganz unwichtig, dass dieser Joshua mehrmals Streitigkeiten mit Bernardo hatte und dementsprechend einen Groll gegen ihn hegte.”
Der Mann tippt die Zigarrenasche in eine Schale und nahm einen weiteren Zug.
“Aber ja”, fährt er fort, “wir haben schnell gemerkt, dass er unseren Anforderungen nicht gewachsen ist.”
Tannes Herz beginnt zu rasen, als der Mann davon erzählt, wie sie Josh zu fassen bekamen. Er erzählt, wie das Mädchen mit der roten Mütze, ihr Name ist Emilia, vor zwei Tagen bitterlich weinend vor Joshua auftauchte, der gerade vom Einkaufen nach Hause schlenderte. Sie bat ihn um Hilfe, da ihre Katze auf einem Baum geklettert sei und nun nicht mehr hinunterkäme. Sie führte den hilfsbereiten Josh in den anliegenden Stadtpark, in eine abgedunkelte Ecke mit dichtem Buschwerk. Als Josh an den besagten Baum herantrat und sich an einem Ast hochzuziehen versuchte, um die Katze, die es nie gab, erblicken zu können, schlich sich einer der Cosalberi-Handlanger von hinten an und schlug Josh mit einer Schaufel bewusstlos. Die Männer fuhren ihn ins Restaurant, wo er wieder zu Sinnen kam, entschuldigten sich für die grobe Behandlung mit der Schaufel und weihten ihn in den Auftrag ein, der da hieß, Bernardo mit welchen Mitteln auch immer zu einem vereinbarten Ort zu locken – woraufhin Josh wieder bewusstlos wurde.
“Ihr habt ihn mit einer Schaufel geschlagen? Bitte sag mir, dass es ihm gut geht!”, wimmert Tanne.
“Kein Grund zur Sorge, ragazza, du hattest doch schon mit ihm gesprochen. Wir haben ihm einen Raum im Kellergeschoss eingerichtet. Gastfreundschaft ist uns wichtig.”
“Dann kann ich ihn sehen?”
“Er schläft schon tief und fest. Es ist spät und die letzten Tage waren anstrengend.”
Tanne bekommt feuchte Augen. Sie weiß nicht, was sie noch glauben soll. Zwar ist ihr Joshua damals untreu gewesen, aber sie konnte ihm nicht lange wütend sein. Er war und ist ein unsicherer, sensibler Mensch, der noch nicht weiß, wo sein Platz ist und was für einen Lebensweg er einschlagen soll. Er brauchte Freiheit und ein neues Umfeld, um genau das herauszufinden. Tanne kann seine Identitätskrise gut nachempfinden und fühlt gerade deshalb weiter eine starke Bindung zu ihm.
“Ich verspreche dir, dass du deinen Josh wiedersiehst”, sagt der Mann mit Hut, “wenn du unseren Anweisungen folgst.”
Ihr verdammten Itakerschweine, denkt sich Tanne, während sie brav nickt. Jetzt gilt es, die Ruhe zu bewahren und zuzuhören.
“Es gibt eine Sache, die dem lieben Bernardo so heilig ist, wie seine Kinder.”
Der Mann drückt seine Zigarre aus und holt tief Luft.
“Es ist eine Spieluhr in einer Holzdose, die sein Großvater, ein alter Uhrmachermeister, einst für ihn gefertigt hatte. Wenn man an der Kurbel dreht, springt eine kleine, silberne Tänzerin hervor und dreht sich um ihre eigene Achse. Dabei spielt die Uhr die Melodie des ersten Akts der ‘Traviata’ von Giuseppe Verdi.”
Der Mann stimmt die Melodie an, um Tanne auf die Sprünge zu helfen, bis diese so höflich wie möglich darum bittet, doch endlich fortzufahren.
“Ich weiß, dass Bernardo, oder für dich weiterhin Karim, diese Uhr noch irgendwo aufbewahrt. Ich trage dir die Aufgabe auf, sie zu entwenden und hierher zu bringen. Wenn Bernardo merkt, dass die Uhr fehlt, wird er genau wissen, dass wir dahinter stecken. Und da Bernardo kein Idiot ist, wird er auch schon längst wissen, wo wir sind. Wie heißt es so schön? Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher. Und seine Feinde sind wir.”
Tanne fasst sich an den Kopf und stößt einen Seufzer aus.
“Wie.. wie… soll ich das anstellen?”
“Es gibt zwei Eigenschaften, um die ich euch Frauen immer beneidet habe”, erwidert der Mann mit dem Hut, “die eine ist euer weiblicher Charme und die andere eure List. Mach das beste daraus.”
Plötzlich verfinstert sich sein Gesichtsausdruck.
“Eines sollte dir jedoch klar sein: Ein Wort zu den Bullen und Josh schläft nicht mehr im Keller, sondern bei den Fischen.”
Als wäre ein Stichwort gefallen, packen zwei der Herren vor der Eingangstür Tanne an den Oberarmen und führen sie aus dem Büroraum raus.
“Und zieh das alberne Kostüm aus”, hört Tanne ihn noch rufen, bevor die Tür hinter ihr zufällt.