Gestatten Elite – Eine Geschichte über Gewinner und Verlierer
An einer Elite-Uni studieren, sich zur Elite zählen dürfen, was heißt das eigentlich? Wirtschaftselite, Bildungselite, Elite, … der Begriff ist vielschichtig. Julia Friedrichs hat sich auf die Suche gemacht und ist dem Begriff während ihrer Reise durch Deutschland ein Stück näher gekommen.
Von Christine Leitner
“Aber deine Eltern sind ja nun auch keine Hartz IV-Empfänger.” – “Nein, aber fast. Mein Vater ist Arzt.”
Elitär – so nennt man Leute, die mit pelzbesetzten Mänteln und Dackeln an der Leine durch die Gegend stolzieren, die sich mit den teuersten Federn schmücken, in halb leeren Läden einkaufen, die Nase stets in die Luft gereckt ihresgleichen suchen, mit fünfzehn Jahren schon das erste Cabrio in der Garage stehen haben, Estelle-Marie, Leonhardt-Maximilian gerufen werden, die Vornamen sämtlicher Vorfahren wie eine ellenlange Schleppe hinter sich herziehen,…
Doch wie ist der Begriff “Elite” konkret zu definieren? Hat er sich verändert oder ist er immer noch gleichbedeutend mit dem Begriff von vor hundert Jahren?
Julia Friedrichs hat sich als Studentin auf die Suche nach einer Definition gemacht. Mit viel Witz und Humor, in einer flockig lockeren Sprache, klar verständlich, zugleich aber auch direkt und knapp beschreibt die Autorin das Leben der Elite. Doch was bedeutet der Begriff genau? Menschen, die sich zur Elite zählen, jedoch unterschiedlichen Alters sind, definieren den Begriff wie folgt:
“EEs gibt Menschen, die sind ganz oben. Und Menschen, die sind unten – die Verlierer. Pass auf, dass du im Leben zu den Gewinnern gehörst.
Verwirrend mag diese Antwort anmuten, verwirrend, arrogant, vielleicht sogar schockierend? Doch was verbirgt sich wirklich unter dem Deckmantel des Begriffs? Ist er nur eine leere Hülle, ein kläglicher Versuch, normale Menschen mit Größenwahn über andere zu erheben?
Ihre Reise führte Friedrichs durch ganz Deutschland, sogar in die USA. Sie besuchte Internate, Universitäten, an denen die Kinder reicher Wirtschafts-, Geschäfts- und Businessführer unterrichtet werden. Doch was sie dort erwartet, schockiert nicht nur die angehende Journalistin: Jugendliche, die mit fünfzehn Jahren Karriereberatungen buchen, Schüler, die trotz schlechtester Noten auf beste Universitäten gehen, nur weil Daddy es sich leisten kann, 10.000 Euro im Jahr in die Bildung des Nachwuchses zu investieren. Strikte Einteilungen nach Status, Besitz und Elternhaus werden vermittelt, wie eine Doktrin werden sie den Studenten eingetrichtert, sodass sie nachts im Schlaf jederzeit abgerufen werden können. Wer weniger als 70 Stunden die Woche arbeitet, gilt als “Mindestleister”, als fauler Sack, der es nicht verdient hat, zu leben, weil er die fleißigen Reichen um ihren Wohlstand bringt!
ZZum Wohle der Allgemeinheit ist es die Aufgabe der Gewinner, die Verlierer anzutreiben, zur Not auch auszusortieren.
Noch perverser lässt der Gedanke anmuten, dass diese Einteilung in gut und schlecht, fleißig und faul, arm und reich schon im Kindergartenalter ihren Anfang nimmt. Säuglinge, noch nicht einmal dem Windelalter entwachsen, werden in Erziehungsanstalten deponiert, in denen sie von klein auf die verschiedensten Sprachen erlernen sollen. Bilinguale Erziehung – keine Frage, die ist schon seit Langem in Mode, denn nur wer heutzutage möglichst viele verschiedene Sprachen fließend beherrscht, kann in unserer globalisierten Welt überleben. Doch muss man es gleich so auf die Spitze treiben?
Arbeiten bis zum Burn-out, Kinder möglichst früh abschieben, damit die eigene Karriere nicht leidet, zugleich aber neue Karrieren ermöglicht werden können. Wo bleibt da Raum für Familie, Freunde, Freizeit und soziale Kontakte?
Die Elite sieht sich dazu berufen, die Welt zu verbessern, Veränderungen vorzunehmen, die allen zugutekommen. Aber wie soll das gehen, wenn die Ausbildungen immer teurer werden und die Karrierechancen der Kinder vom Willen und Geldbeutel der Eltern abhängen? Unsere Welt kann immer mehr mit dem Slogan “Survival of the fittest” beschrieben werden und die Elite pocht geradezu auf dieses Mantra. Auch der Kapitalismus spielt hierbei ebenso eine wichtige Rolle, denn auf seinem Rücken baut die Elite ihre Macht aus.
Fazit: Ein durchweg spannendes, unterhaltsames, zugleich aber auch schockierendes Buch. Klare Leseempfehlung vor allem für Menschen, die unsere Gesellschaft besser begreifen wollen. Ein wahres Manifest!
Gestatten: Elite, Julia Friedrichs, Sachbuch, Hoffmann und Campe, Deutschland 2008.