Kreativ, engagiert und politisch
Das Projekt „Unexpected“ des Bremer Jugendrings möchte jungen Geflüchteten eine politische Stimme verleihen und sie zum eigenen Engagement ermutigen. Um ihre Botschaft zu vermitteln, greifen die Teilnehmer*innen oft tief in die Kreativkiste.
Von Florian Fabozzi
Ein junges Mädchen, das durch ein einmetergroßes Papphandy mit Persönlichkeiten der Bremer Politikszene über politische Verfehlungen spricht. Klingt skurril und unerwartet – eben ganz unexpected. Solche Szenen gibt es in dem zehnminütigen Video „Spread it out“ zu sehen, eine der Aktionen von „Unexpected“, dem jüngsten Projekt des Bremer Jugendrings.
„Unexpected“ ist ein Projekt, das Jugendliche – insbesondere Geflüchtete – unterstützen möchte, politische Aktionen jeder Art umzusetzen. „Integrativ und partizipativ“ beschreibt Arabella Walter, Jugendbildungsreferentin des Bremer Jugendrings, das Projekt. Alle Personen sind willkommen, dürfen sich einbringen, ihre Gedanken und Ideen äußern. Dies geschieht im Rahmen des „Forum Unexpected“, dem Ort der Begegnungen für Geflüchtete, die am Jugendring eintreffen. In offenen Gesprächen sollen Vertrauen geschaffen und soziale Beziehungen geknüpft werden. „Die Geflüchteten helfen sich gegenseitig bei Alltagsfragen“, betont Walter, „und es sind schon einige Freundschaften entstanden.“
Aus diesem Forum heraus entwickeln Geflüchtete schließlich den Tatendrang aktiv zu werden. Das eingangs erwähnte „Spread it out“ ist beispielhaft dafür. Auf originelle und unterhaltsame Art und Weise erklärt eine Gruppe von Geflüchteten vermeintlich einfache politische Grundbegriffe und lässt dabei auch Bremer Politiker*innen zu Wort kommen. Der Film, der etwa fünf bis sieben lange Arbeitstage und eine ganze Menge Pappe in Anspruch nahm, wurde später im Kommunalkino City 46 ausgestrahlt – ein kleiner Erfolg für das junge Projekt, das weiter wachsen soll.
Podiumsdiskussion in Kunsthalle
Die Teilnehmer von „Unexpected“ scheuen auch die Konfrontation nicht. Im vergangenen September veranstaltete eine Gruppe junger Menschen aus dem Guinesischen Verein für Integration und Bildung in der Kunsthalle eine Podiumsdiskussion mit führenden Bremer Politker*innen aus den großen Parteien. Die Diskussionsfragen drehten sich rund um die Themen Ausbildungszugang und Einstiegsqualifikation für Immigranten. Immer dann, wenn Politiker abschweiften, kamen Tröten und Klingeln zum Einsatz, die auf die Themenverfehlung hinwiesen. Eine Begegnung auf Augenhöhe, bei denen die Geflüchteten den Politikern mit kritischen Fragen auf den Zahn fühlten.
Für das Netzwerk, die Materialien und Räume sind Arabella Walter und ihr Team verantwortlich, finanziert wird „Unexpected“ aus dem Integrationsbudget des Bremer Senats. Im Detail liegen die Projekte selbst jedoch fast hundertprozentig in der Verantwortung der Geflüchteten. „Die Ideen zur Umsetzung stammen in der Regel von den Geflüchteten“, erklärt Walter. Diese gehen oft sehr offen und motiviert ans Werk, Berührungsängste seien die Seltenheit.
Es sei bisher dagegen schwieriger heimische Jugendliche für die Projekte zu begeistern. Liegt dies an fehlender Aufgeschlossenheit oder an der oft diskutierten Politikverdrossenheit? Walter hält nichts von einer angeblichen Politkverdrossenheit bei Jugendlichen. „Das Interesse ist da, man muss nur den richtigen Zugang finden“, erklärt sie. Die Schule verpasse es Jugendliche politisch zu bilden. Beim Jugendring, und im Speziellen auch bei „Unexpected“, geht es eben darum, dass Jugendliche ihre eigenen Thesen bilden und sich aktiv Gedanken machen, wie die Welt nach ihrer Vorstellung aussehen sollte.
Der Bremer Jugendring ist der Dachverband der Bremer Jugendverbände und seine Aufgabe ist es, Interessen der Jugendlichen nach außen zu vertreten. Der Jugendring ist daher gut vernetzt und es bestehen Verbindungen zu Unterkünften – ein Grundstein für die Kontaktaufnahme zu Geflüchteten. Für Projekte führen sie gezielte Ausschreibungen durch mit oftmals positiver Resonanz. Die Geflüchteten kommen mal in Gruppen, wie im Falle der guinesischen Geflüchteten, oder oft auch einzeln. An Tatendrang mangelt es den wenigsten, vor allem dann nicht, wenn man mit Personen zusammenwirkt, die ähnliche Erfahrungen gemacht und ähnliche Geschichten zu erzählen haben.
Neues Filmprojekt in den Startlöchern
Noch im Anfangsstadium befindet sich ein Filmprojekt zum Thema Mentoren- und Vormundschaft. Hier soll der Unterschied zwischen einem Vormund und einem Mentoren veranschaulicht werden. Auch soll erklärt werden, was einen guten Mentor und einen guten Vormund überhaupt ausmacht, was für Erwartungen und Wünsche Geflüchtete an sie hegen.
Auch Hamed (Name von der Redaktion geändert) hat sich entschieden, an dem Filmprojekt mitzuwirken. 2015 kam der damals 17-jährige allein aus Afghanistan nach Deutschland, gerade, als der Geflüchtetenandrang seinen Höhepunkt erreichte. Um den vielen Geflüchteten eine schnelle Integration zu gewährleisten, fehlte es in Deutschland an ehrenamtlichen Helfern, die das Jugendamt bei der Suche nach Vormündern hätten entlasten können. „Es dauerte acht Monate, bis ich einen Vormund bekam“, erinnert sich Hamed. Neben dem Vormund bekam Hamed bald einen Mentor zugewiesen, mit dem er bis heute in engem Kontakt steht. „Meistens treffen wir uns an Wochenenden“, erzählt er lächelnd. Mentoren, sagt er, spielen eine unschätzbar wichtige Rolle bei der Integration von Geflüchteten. „Er hilft mir bei Problemen, erklärt mir die Gesetze und macht mir den Alltag leichter.“
Mit dem Filmprojekt sollen sowohl Deutsche als auch Geflüchtete erreicht werden. Deutsche Zuschauer*innen sollen ein besseres Verständnis für die Lage der Geflüchteten erlangen. „Schließlich kommen wir ja nicht freiwillig“, merkt Hamed an. Darüber hinaus will man auch andere Geflüchteten über die gesetzliche Lage im Land aufklären und über die Optionen, die sich daraus ergeben.
Bei all den geplanten Aktionen möchte das Team von Unexpected seinen Grundgedanken nicht aus den Augen verlieren: Noch unerwarteter, überraschender und verrückter wollen sie werden – und auf diese Weise Aufmerksamkeit für ihre Anliegen schaffen. „Wieso nicht einfach mal eine Aktion unter dem Sternenhimmel im Planetarium?“, schlägt Walter vor. Und warum? „Um das Gewöhnliche auf den Kopf zu stellen“, ergänzt sie in Vorfreude auf weitere kreative Aktionen, die im Rahmen von Unexpected entstehen werden.