Warum die Lucke-Proteste zu weit gingen

Ein Kommentar zu den Protesten gegen Bernd Lucke an der Universität Hamburg

Von Florian Fabozzi

Die Geister, die ich rief, werd ich nicht mehr los – Das Zitat aus Goethes Zauberlehrling würde auch als Biografie-Titel des AfD-Gründers Bernd Lucke taugen, da es sein politisches Wirken in einem Satz zusammenfasst. Genau wie der Zauberlehrling aus Goethes Ballade, der die Macht über seine verzauberten Besen verlor, erging es Lucke 2015, als seine eurokritische Partei AfD in die Hände jener Geister fielen, die auf die Namen Gauland und Höcke hören.

Nach dem Ausscheiden aus der AfD wurde es ruhig um Lucke. Seine neue Partei “Alfa” schaffte es weniger durch ihr Parteiprogramm, als vielmehr durch einen Namensrechtsstreit mit der ‘Aktion Lebensrecht für Alle’ in die Schlagzeilen. Auch unter den neuen Namen ‘Liberal-Konservativen Reformer’‘ blieb sie eine unbedeutende Nischenpartei jenseits der ein Prozent Wählerstimmen.

Dass es Lucke nun trotzdem wieder auf die mediale Bildfläche geschafft hat, ist Studierenden der Universität Hamburg zu verdanken. Dort hat Lucke seinen Lehrauftrag für Volkswirtschaftslehre, den er bis zu seinem Ausflug in die Politik 2014 innehatte, wieder aufgenommen. Im Vorfeld seiner Vorlesungen über Makroökonomie stürmten Studierende, zum Teil Antifa-Aktivist*innen, den Hörsaal, beschimpften den Politiker als “Nazi-Schwein”, bewarfen ihn mit Papierkugeln und bedrängten ihn körperlich. Dies wiederholte sich während der zweiten Vorlesung. Erst der dritte Versuch verlief reibungslos – jedoch nur dank Polizeischutz.

Bernd Lucke lächelt freundlich in die Kamera. An der Uni Hamburg hat er derzeit nicht viel zu lachen.
Viel Grund zum Lachen hat Bernd Lucke, Gründer der AfD, seit seiner Rückkehr an die Universität Hamburg nicht (© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons).

Universität als Raum der offenen Diskussion

Bei allem Verständnis für die Abneigung gegen Lucke gilt festzuhalten: Auch Protest kennt Grenzen. Klar ist, dass Luckes politisches Programm bei genauerer Betrachtung viel Angriffsfläche bietet. Bernd Lucke ist ein knallharter Wirtschaftsliberaler, der sich für einen schlanken Staat und freie Marktwirtschaft engagiert. Er ist Befürworter eines radikalen Kapitalismus, der dazu führen kann, dass sich die Schere zwischen ‘arm’ und ‘reich’ noch weiter öffnet. Doch fernab berechtigter Kritik bewegt sich Lucke innerhalb des demokratischen Rahmens, ob es einem gefällt oder nicht. Die Universität sollte ein Raum für eine offene Diskurskultur sein, in dem jede*r, der*die sich innerhalb des demokratischen Spektrums bewegt, eine vollwertige Stimme haben sollte. Wer sich an Luckes politischen Standpunkt stört, der kann friedlich vor dem Hörsaal protestieren, wie es ja auch einige Studierende getan haben. Oder, noch besser, ihn mit unbequemen Fragen konfrontieren, ihn bei Gelegenheit in eine scharf, aber sachlich geführte Diskussion verwickeln. Eins ist aber klar: Wer sich den Kampf um den Erhalt von Demokratie und Meinungsfreiheit auf die Fahne schreibt, muss diese Werte auch vorleben und in ihrer Gesamtheit dulden können. Der oder die muss verstehen, dass sich das Meinungsspektrum nicht in “links” und “Nazis”, nicht in “gut” und “böse” einteilen lässt. Wenn es doch noch so einfach wäre. Ohnehin sind die Vorfälle an der Universität Wasser auf den Mühlen der AfD, die nun einmal mehr ihre Mäuler über die “Meinungsdiktatur Deutschland” zerreissen können.

Das politische Meinungsspektrum lässt sich nicht in “links” und “Nazis” einteilen

Richtig, es war Lucke, der einst die AfD gegründet hat. Es ist nur verständlich, dass Studierende der Uni Hamburg nach seiner Rückkehr ein mulmiges Gefühl bekamen. Schließlich hat er Inhalte auf die Agenda gesetzt, die für Rechte anschlussfähig sind und “Applaus” von rechts zumindest in Kauf genommen. Das darf man ihm zum Vorwurf machen. Richtig ist aber auch, dass die AfD nicht als nationalistische, sondern als EU-kritische Partei gegründet wurde, die nicht die Idee eines gemeinsamen Europas, sondern lediglich ihre konkrete Umsetzung kritisierte. Fakt ist, dass Lucke schon im Jahr 2014 40 Parteiausschlussverfahren gegen Parteikolleg*innen eingeleitet hatte, die größtenteils durch rechtes Gedankengut aufgefallen waren. Als er die Dimensionen der rechten Unterwanderung in der AfD erkannt hatte, gründete er den Verein  “Weckruf 2015” mit dem Ziel, die AfD als “sachliche und konstruktive” Partei zu erhalten – vergeblich. Und erst in diesem Jahr machte sich Lucke mit deutlichen Worten für die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz stark. Als eine “fremdenfeindliche, deutschnationale Partei mit rechtsradikalen Einsprengseln” bezeichnete er seine Ex-Partei, sie sei längst nicht mehr die Partei, die er einst gegründet hatte. Dies alles gilt es zu berücksichtigen, bevor man vorschnell mit der ‘Nazikeule’ ausholt. Kritik an seine Politik scheint legitim und angebracht, persönliche Beleidigungen sind dagegen fehl am Platz.

Kompetenz vor Ideologie

Eingang des Otto-Stern-Hörsaals in der Hamburger Neustadt. Hier trugen sich die Proteste gegen Bernd Lucke zu
Eingang des Otto-Stern-Hörsaals in der Hamburger Neustadt. Hier trugen sich die Proteste gegen Bernd Lucke zu (© Pauli-Pirat / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons).

Am Ende des Tages geht es ohnehin nur um Lesungen zum Thema Makroökonomie. Um die großen Zusammenhänge unterschiedlicher Wirtschaftssektoren. Eine sehr theorielastige Vorlesung. Lucke vermittelt Kompetenzen, die die Zuhörer*innen für ihr Studium benötigen. Er ist nicht beliebig ersetzbar. Niemand würde in Frage stellen, dass eine defekte Zylinderkopfdichtung von fachkundigen Mechaniker*innen repariert oder eine durchgebrannte Hauptsicherung von ausgebildeten Elektriker*innen ausgetauscht werden sollten. Es ist für ihre Tätigkeit nicht von Bedeutung, für welche Partei die Herzen des Mechanikers und das der Elekterikerin schlägt, wichtig ist nur, dass sie ihr Handwerk beherrschen und damit eine Dienstleistung für jene erfüllen, die diese in Anspruch nehmen. Das tut auch Lucke, wenn er sein Wissen erfolgreich an seine Studierenden weitergibt und sie damit im Optimalfall für den Einstieg in das Arbeitsleben wappnet.
Und es ist nicht so, als könne sich Lucke einen Fehltritt erlauben. Würde er seine Makroökonomie-Vorlesung kurzerhand in ein ideologiegeladenes Partei-Werbeevent verwandeln, wäre er sein Lehrstuhl in Hamburg wohl los. Sich auf sein zweites Standbein, der Politik, zu verlassen, käme für ihn wahrscheinlich nicht in Frage. Denn dieses ist seit seinem Abgang von der AfD höchstens noch ein morsches Holzbein.

Titelbild: © Nima j72 / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

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