-TABU BRECHEN-

Dreimal täglich eine

Wir sitzen im unbekannten vierten Stock des GW2, auf einer starren Bank im Flur. Einen offenen Raum zu finden scheiterte. Hinter uns hängen Kopien von Keith Haring. Ein Künstler, der Menschen als Strichfiguren malte. Mit breiten Linien, geschwungenen Armen und Beinen. Ohne Hände und Füße, ohne Gesichter. Monochrome Farben füllen die Körper. Das Licht der grellen Neonlampen spiegelt sich in dem Glas des Bildrahmens. Der Teppichboden ist grau, genauso wie die Stühle. Die Wände sind weiß. Türen rot. Gegenüber hängt eine riesige Korkwand. Nur ab und zu kommen Menschen vorbei, die zielstrebig mit klirrenden Schlüsselbund den Gang entlanglaufen.

von Anne-Kathrin Oestmann

Laura kennt mich nicht und ich kenne Laura nicht. Aber mit einem tiefen Atemzug fängt sie einfach an zu reden, während im Hintergrund die Lüftung summt. „Ich fall´ da voll drunter was das angeht“ sagt Laura. Depression und emotionale instabile Persönlichkeitsstörung Typ Borderline – mit 20 Jahren bekam sie die Diagnose. Gründe für ihre psychische Erkrankung seien schlechte Familienverhältnisse und Mobbing gewesen. „Ich war nie gut genug für meinen Vater“ sagt sie. Handgreiflich soll er nicht gewesen sein. Mit Sprüchen, wie „wenn du ein Junge wärst“ habe er sie psychisch fertig gemacht, erniedrigt und Gewalt angedroht. Noch bevor Laura zur Welt kam, starb ihr Bruder. Ihre Mutter habe sich in die Arbeit geflüchtet – bis zum Burnout. Lauras sicherer Rückzugsort waren die Bücher. Die meiste Zeit habe sie in den Fantasiewelten von Harry Potter und Twilight verbracht.

Mit 18 Jahren kamen die ersten Suizidgedanken auf. Mit der gleichen Überzeugung, wie dass die Erde eine Kugel ist, sagt sie „ich würd´s nicht hinkriegen und wenn ich´s könnte, würde ich nicht mehr leben und das weiß ich auch“. Lauras Mutter habe es nie geschafft, ihren Mann zu verlassen und auszuziehen. Zusammen mit ihrer Tochter – fern von dem kleinen Dorf, in dem alle Laura um ihren tollen Vater beneideten. Ihr selbst fehlte das Geld, um sich von ihrer Familie los zu machen. Und so gab sie ihren Traum auf, Jura zu studieren. Ihr Vater habe es ihr verboten, denn seiner Meinung nach gäbe es keine Berufschancen. Ansonsten hätte er sie vor die Tür gesetzt.

Antidepressiva, die Depressionen auslösen

Kinder können grausam sein. Erwachsene sind erwachsen, dachte Laura. Nach dem Abi begann sie eine Ausbildung. Aber auch hier hörte das Mobbing nicht auf. Ihr ging es immer schlechter, bis sie auf dem Stuhl in einer psychiatrischen Praxis saß. „Ich bin zu diesen Psychiater gegangen, ich sitze vor ihm, wusste auch nicht, was ich groß sagen sollte und dann fragt er mich was ich für ein Medikament ich haben möchte. Was, das mich runter bringt oder was, das mich hoch holt“. Sie hat sich für die Stimmungsaufheller entschieden. Einem Antidepressivum mit Nebenwirkungen. Heftigen Nebenwirkungen – wie Depressionen.

Mehre Wochen verbrachte sie danach in einer psychiatrischen Klinik – mit Entzugskranken und Halluzinierenden, die bei dem Frühstück Engel an schrien. Sie wollte ihren Vater nicht sehen – am selben Abend haben sich ihre Eltern geschieden. Nachdem sie die Klinik verlassen hat, ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem Familienhaus ausgezogen. Eine Reihe von Tageskliniken und Reha-Aufenthalten folgten – trotzdem ist Laura überzeugt davon, dass es noch schlimmere Fälle als ihren gibt. Menschen mit mindestens einer Handvoll, diversen Störungen – vernarbten Armen und Beinen, Rasierklingen und Scherben im Magen.

Vor drei Jahren hat sie ihr Studium begonnen. Sie ist im fünften Semester – geschafft hat sie bisher den Stoff von zwei. Die Depressionen sind immer da – leichte, mittelschwere, schwere Episoden. Mal schafft sie es morgens aus dem Bett zu kommen, mal bleibt sie liegen, bis die Sonne um 180 Grad gewandert ist. Das einzige was sie kann, ist zu funktionieren. 21 Pillen in der Woche – morgens eine, mittags eine, abends eine – mit der 100er Packung kommt sie für einen Monat gerade so gut hin. „Dass ich stabil bin, liegt nur an den Medikamenten“.

Zwei Menschen und zwei Katzen

Ohne der Mindestdosis wäre sie nicht fähig mit Menschen zu kommunizieren. Anzuknüpfen scheint unmöglich. Wasser sammelt sich in ihren Augenwinkel. Sie würde es gerne können, wie jeder andere. Die blau-graue Iris fängt an zu verschwimmen. Freunde habe sie so gut wie keine – was bleibt, ist eine gute Nachbarin, die Mutter und ihre Katzen. Eine Träne läuft über ihr Gesicht. Und noch eine und noch eine. Laura versucht sie weg zu wischen.

Sie steht dazu, dass sie so ist, wie sie ist. Ehrlichkeit ist ihr wichtig. Aber nicht jeder kann mit dieser Ehrlichkeit umgehen. Laura erzählt davon, dass sie sich abgestempelt fühlt, wie in Watte umhüllt. Behandelt wird, als ob sie nicht normal sei. Plötzlich verschwinden Menschen aus ihrem Umfeld – sind abgetaucht. Noch bevor zur Sprache kommen könnte, dass sie ein Problem mit Laura haben. „Alle sagen, sie wollen Ehrlichkeit, aber wenn man ehrlich ist, kommt keiner damit klar. Das ist es einfach.“ sagt sie. Klischees beherrschen die Vorstellungen über psychische Erkrankungen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Borderliner_innen ritzt sich Laura nicht. Sie krempelt ihren Pullover hoch und dreht ihre ausgestreckten, nackten Arme. „Bis man an dem Punkt ist, kann man es nicht nachvollziehen und ich kann verstehen, warum es die Leute tun. Es ist keine gute Methode. Definitiv nicht, aber ich kann es verstehen, dass es hilft oder helfen kann“ sagt sie.

Monate lang steht man auf Wartelisten. Sommer 2019. Die dritte Psychotherapeutin scheint ihr zumindest ein wenig helfen zu können. Aufarbeitung – Reflexion – Problemthematisierung – Unterstützung. Erst mit der Auseinandersetzung von verdrängten Gefühlen wurden ihr die Probleme bewusst. Aber bisher sehe Laura noch keinen Unterschied. Auch wenn ihre Psychologin nett sei. Noch immer fehle die Motivation. Die Leere in ihr und Verlustängste bleiben. Schlafstörungen zwingen sie Schlaftabletten zu schlucken. In Stresssituationen kommen die Übelkeit, das Erbrechen und das Zittern der Hände.

„KIS“ & „PBS“ – Unterstützung von der Uni Bremen

Wenn man sich Hilfe sucht, gebe es seitens der Universität Bremen Unterstützung. Anlaufstellen, wie „KIS“ oder „PBS“ stehen den Betroffenen zur Seite. Dadurch können Nachteilsausgleiche, wie Beantragung von verlängerte Fristen bewirkt werden. Laura studiert im Zweitfach Englisch. Vorgegeben ist ein Auslandsaufenthalt – für sie unmöglich. „Was passiert wenn´s mir da richtig scheiße geht?“ Sie lässt die Frage für einen kurzen Moment im Raum stehen. Eine Veränderung in ihrem Umfeld könne schlimme Auswirkungen haben und sie zurück werfen. Die Angst vor der Auslandsreise bäumt sich vor ihr auf. „Ich würde. Sofort. Wenn ich könnte, würde ich. Ich beneide alle, die jetzt gerade ihr Auslandssemester machen.“ Mit einem bei dem Prüfungsausschuss eingereichten Attest, kann sie trotz allem Englisch weiter studieren – auch ohne in den USA gewesen zu sein.

Zig Präparate hat Laura durch – so gut wie alles, was auf dem Markt ist. Stationäre Aufenthalte, Reha- und Tageskliniken. Drei Psychotherapeuten. Es sei wichtig sich Hilfe zu suchen, auch wenn die Plätze begrenzt und die Wartelisten überfüllt sind. „Man muss es wollen, sonst hilft es einem nicht. Man kann sich auch zu einem Psychiater oder Psychologen setzten. Man kann da die ganze Stunde sitzen und schweigen. Man muss die Hilfe selber wollen, damit es funktioniert. Sonst funktioniert es nicht.“ sagt sie und atmet aus.

 

 

Wenn Ihr Hilfe benötigt, wendet Euch an die Psychologische Beratungsstelle der Universität Bremen unter: (0421) 22 01 – 1 13 10  pbs@stw-bremen.de  oder bei der TelefonSeelsorge Bremen unter:

0800 – 111 – 0 – 111 

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