Wenn Autoren zu Produktcodes werden
In der Satire „Spitzentitel“ erschafft Antonio Manzini eine Zukunftsvision, in der die künstlerische Freiheit Umsatzkalkulationen zum Opfer fällt. Eine Ausformung des totalitären Kapitalismus, in der die Literatur, wie wir sie kennen, keinen Platz hat.
Von Florian Fabozzi
Nach zweieinhalb Jahren voller schlafloser Nächte und 862 Packungen Zigaretten ist es vollbracht. Giorgio Volpe, seines Zeichens der erfolgreichste Schriftsteller Italiens, hat sein Meisterwerk fertig. Einen achthundert Seiten umfassenden Wälzer über die schicksalhafte Geschichte seiner Familie zur Zeit des Faschismus. Erwartungsvoll schickt er das Manuskript an Fiorella, die Lektorin seines Vertrauens. Längst jedoch hat sich das Verlagswesen gewandelt. Die drei großen Verlage Italiens wurden von Investoren zum Riesenkonzern Sigma fusioniert, der allein auf Umsatz und Zufriedenstellung der Massen bedacht ist. Die Literatur als solches ist abgeschafft, sie heißt nun „Kommunikation in heimischer Mundart“.
Bald stehen zwei unbekannte Herren vor Giorgios Tür, fest entschlossen, seine Familienchronik in eine platte Heldenstory mit klischeehafter Liebesgeschichte umzuschreiben. Giorgia hat genug und wendet sich an kleinere Verlage – für die Bewahrung künstlerische Freiheit ist er bereit, finanzielle Einbußen in den Kauf zu nehmen. Doch schnell stellt er fest: Sigma ist überall und schreckt für die eigenen Ziele vor keinen Mitteln zurück.
Kritik an Gesellschaft und System
„Spitzentitel“ ist eine bissige Gesellschaftssatire, die sich hauptsächlich drei Themen zum Gegenstand nimmt: Die Dekadenz der Gesellschaft, die Mechanismen des Kapitalismus und damit verbunden die Unterdrückung von Freiheitsrechten.
Der Autor tischt uns eine Gesellschaft auf, für die anspruchsvolle Literatur keinen Wert mehr hat. Schließlich soll alles verständlich und leicht verdaulich sein. Rezeptbücher von TV-Sternchen und die Autobiografie eines Fußballtorwarts sind folgerichtig bessere Investitionen als etwa ein Roman von Thomas Mann. Der Erfolg eines Buches misst sich obendrein an der Häufigkeit von Sexszenen. In Zeiten von “Adam sucht Eva”, einer Flirtshow, dessen Konzept allein auf die Nacktheit der Teilnehmer basiert, ist die Darstellung der oberflächlichen Gesellschaft in “Spitzentitel” nicht allzu realitätsfern.
Die Kritik an den Kapitalismus verdeutlicht sich in der Monopolisierung der Verlagsbranche. Vielfalt und Diversität werden in den Boden gestampft. Sigma wird zur Großmacht, mit einer überdimensionierten und mächtigen Verlagszentrale. Investoren aus China haben das Kommando und Lektoren aus Russland, die nur gebrochen italienisch sprechen, dürfen die Werke nach bestimmten Vorgaben umschreiben. Auch vor Spitzentiteln macht Sigma keinen Halt, und da die Würze in der Kürze liegt, wird etwa Tolstois Krieg und Frieden auf 300 Seiten gekürzt. So sind bald alle Bücher gleichförmig und vorhersehbar und Autoren plötzlich nur noch “Produktcodes”, die für jedes ihrer Bücher die gleichen, vorher festgelegte Verkaufszahlen erzielen müssen.
Wie einst schon bei Kafka und zahlreichen dystopischen Romanen gibt es auch hier mit Giorgio Volpe eine Person, die sich gegen das System auflehnt, um für individuelle Freiheit und Recht zu kämpfen, sich in Gefahr begibt und an Grenzen stößt. Giorgio Volpe offenbart sich die deprimierende Erkenntnis, dass kritiklose Unterordnung die beste Option ist.
Kurz und durchgehend unterhaltsam
Manzini verwendet eine direkte und schnörkellose Sprache. Die Protagonisten nehmen kein Blatt vor dem Mund, sind dabei erfrischend authentisch. Das Werk ist dialoglastig, verzichtet auf Hintergrundgeschichten, Wendungen und ausgefeilte Charakterisierungen. Dabei punktet es mit unterhaltsamen Dialogen, hohem Erzähltempo, skurrilen Einfällen und einer Handlung, die sich fortlaufend in eine Art Spionagethriller verwandelt. Selbst als Thriller nimmt das Werk sich indessen nicht allzu ernst, verleitet es doch immer wieder zum Schmunzeln. Da sich in dem Szenario jedoch viele Parallelen zu unserer Lebensrealität finden, bleibt einem das Lachen gelegentlich im Halse stecken.
Mit 77 Seiten ist “Spitzentitel” recht kurz geraten und lässt sich in einem Zug lesen. Allein der Länge nach zu urteilen, könnte es also glatt ein Werk des Sigma-Verlags sein.
Spitzentitel, Antonio Manzini, übersetzt von Antje Peter, Satire, Wagenbach Verlag, Berlin 2017.