Wenn Fußball zur Nebensache wird
Was haben Gottfried Fuchs, Nikolai Starostin und Otto Harder gemeinsam? Sie waren begehrte und bewunderte Fußballspieler ihrer Zeit und genossen das Rampenlicht. Doch auch als Fußballer konnten sie ihre Augen vor politischen Entwicklungen nicht verschließen, geschweige denn, ihnen entkommen. Mit dieser Thematik befasst sich Heinrich Peuckmann in seinem neuesten Buch „Gefährliches Spiel“.
Von Florian Fabozzi
Der rote Platz vor den Mauern des Kreml ist im Jahr 1936 Schauplatz eines besonderen Spektakels. Spartak und Dynamo Moskau, zwei Zugpferde des russischen Fußballs, spielen vor den Augen Stalins und um dessen Gunst. Unter ihnen die Starostin-Brüder im Trikot von Spartak, die begnadetsten Fußballer des Landes, die sich mächtig ins Zeug legen. Nicht zur Freude des ebenfalls zuschauenden Geheimdienstchefs Berija, der zu Dynamo Moskau hält. Bald wird allen Beteiligten auf dem Platz klar, dass es sich um weit mehr als ein Fußballspiel handelt.
Dass Krieg und Fanatismus aus Freunden Feinden macht, zeigt das Beispiel von Asbjörn Halvorsen und Otto „Tull“ Harder. Einst gute Freunde und Teamkollegen beim HSV, finden sie sich bald in verfeindeten Lagern wieder. Harder tritt der SS bei, wird zum Lageraufseher. Einer der Insassen: Halvorsen, der während der deutschen Besetzung Norwegens der norwegischen Widerstandsbewegung angehört.
Auch für Gottfried Fuchs, der deutsche Stürmerstar und Rekordtorschütze in den Zehnerjahren, geht mit der Machtübernahme der Nazis eine große Veränderung einher. Denn Fuchs ist Jude. Aus dem bejubelten deutschen Fußballidol vergangener Tage wird ein gejagter Staatsfeind. Bevor er und seine Familie der brutalen Naziherrschaft zum Opfer fallen würde, plant er die Flucht. Mit spärlichen Gepäck versuchen sie schließlich in die neutrale Schweiz zu immigrieren.
Fokus auf Gedankenwelt der Protagonisten
In Peuckmanns dreiepisodischem Werk liegt der Fokus eindeutig auf dem Schicksal von Halvorsen und Otto „Tull“ Harder. Die unterschiedlichen Zeitebenen in dieser Novelle sind geschickt miteinander verwoben, es gibt stetige Zeitsprünge zwischen der Erzählgegenwart, dem zufälligen Treffen Halvorsen und Harders, und vergangener Geschehnisse, wie Harders Begegnung mit der SS, seiner Laufbahn als KZ-Aufseher und des Gerichtsprozesses, der für ihn letztlich glimpflich verlief. Die unchronologische und sprunghafte Erzählweise sorgt für eine abwechslungsreiche Lektüre – und die Scherben einer zerbrochenen Freundschaft werden so in aller Deutlichkeit ausgebreitet.
Peuckmann erzählt die Geschichte aus der Sicht Harders und gibt einen Einblick in seine Gedankenwelt. Er verzichtet auf schauderhafte Detailerzählungen aus dem Krieg und legt viel eher eine Charakterstudie an. Dabei behandelt er vor allem die Schuldfrage. Es wird deutlich, dass Harder einer solchen Schuld nicht bewusst ist. Wie könnte er schuldig sein, wenn er doch nur Befehle befolgt hat? Schließlich ging es doch nur um Kameradschaftlichkeit und dem Schutz der Gemeinschaft vor feindlichen Elementen. Wer als Leser nicht aufpasst, wird die Argumentation Harders für einen Moment plausibel finden. Mit seiner Mentalität dürfte Harder jedenfalls stellvertretend für die meisten Opportunisten des dritten Reichs stehen, die dem Regime blind ins Verderben folgten. Peuckmann stellt darüber hinaus – wenn auch stark vereinfacht – dar, wie leicht sich Leute, deren Leben an Inhalt und Bedeutung verloren hat, für extremistische Zwecke rekrutieren lassen.
Die Geschichten hinter allen drei Novellen sind hochinteressant, gerade da sie recht unbekannt sind unbekannt. Sie behandeln Schicksale von Fußballern, die heute fast vergessen sind. Die Erzählungen beruhen auf wahren Begebenheiten und sind sorgfältig recherchiert. Ein halbfiktives Element ist das Aufeinandertreffen Halvorsens und Harders im Volksparkstadion in den Fünfzigerjahren. Dieses Treffen erfüllt in der Novelle vor allem einen narrativen Zweck. Da sich beide tatsächlich zeitgleich im Stadion aufhielten, lässt sich eine solche Begegnung nicht ausschließen.
Unausgeschöpftes Potenzial und fehlende Angaben
Es ist schade, dass es zu dieser zweifellos interessanten Thematik nur drei Novellen in das Werk geschafft haben, von denen die erste mit seinen knapp elf Seiten nur wenig Tiefe bietet. Geschichten von Fußballern, die in Kriege und politische Querelen verwickelt wurden, gibt es vermutlich auch über die deutsche Grenzen hinaus. Vermutlich hätte das Thema noch ausgeweitet werden können. Angesichts des sensiblen Themas hätten sich ein Prolog oder ein Vorwort angeboten, in der der Autor seine Motivation und Intention zum Ausdruck bringt. Die Verknüpfung von Fußball und politischem Terror ist nicht alltäglich und man hätte der Sache einen größeren Rahmen verleihen können. Ein solches Buch schreibt man schließlich nicht aus einer spontanen Laune heraus.
Es stellt sich beim Lesen darüber hinaus die Frage, wie der Autor zu seinen Informationen gekommen ist. Quellenangaben oder weiterführende Literatur wären hilfreich gewesen. Zeitangaben sucht man an vielen Stellen vergeblich; der Leser tappt häufig im Dunkeln und muss sich den Zeitpunkt der erzählten Begebenheit aus dem Kontext erschließen.
Wenngleich einem bei der Lektüre nicht, wie im Klappentext angekündigt, „immer wieder der Atem stockt“, wie es in der Zusammenfassung am Buchrücken versprochen, im Buchrücken versprochen wird) ist es Peuckmann gelungen, wahre Begebenheiten in einem flüssigen und weitgehend kurzweiligen Stil zu schildern, immerzu mit einem introspektiven Blick auf die Protagonisten. Das Thema „Krieg“ vermittelt er mit der nötigen Ernsthaftigkeit, ohne dessen Perversionen in den Vordergrund zu stellen.
Heinrich Peuckmann, Gefährliches Spiel: Fußball um Leben und Tod, Novelle, Kulturmaschinen Verlag, 2018.