Ab ins Grüne
Mein Trip nach Jamaika
Die Reise und alles Geschilderte fand vor März 2020 statt. Selbstverständlich. Lasst euch gerne entführen, in eine Zeit, in der die Grenzen offen waren.
Von Nathalie Schrader
Jamaika – Trauminsel und Sehnsuchtsort in der Karibik. Dicht bewachsen, weiße Strände und glasklares Wasser, so war meine Vorstellung des Inselstaates im karibischen Meer. Ich dachte an Reggae, Bob Marley, dicke Joints und frisches Obst. Den europäischen Dunstkreis hatten mein bester Freund und Reisebegleiter und ich zuvor nie verlassen und dementsprechend euphorisch waren wir bei der Ankunft. Schon am Flughafen in Kingston begrüßten uns die buntesten Tropenblumen, warmer Sonnenschein und drei ausladende Geländewagen in strahlendem Weiß. Einer der Fahrer fragte uns, wohin wir müssen – in unseren Funktionshosen mit Wanderrucksäcken auf den Schultern müssen wir sehr touristisch ausgesehen haben. Erleichtert, das Ziel endlich erreicht zu haben, stiegen wir ein und waren bereit, zwei Stunden lang bloß aus dem Fenster zu sehen. Wir schlängelten uns durch die chaotischen Straßen Kingstons, immer entlang der karibischen Küste. Auf den ersten Kilometern folgte ein Klischee auf das Nächste. Bananenbäume füllten die kleinen Vorgärten der bunten Häuser. Einigen heruntergekommenen Hütten fehlte das Dach, hundert Meter später zeichneten sich die imposantesten, mit Stuck verzierten Villen vor weißem Strand ab. Plötzlich bog der Fahrer in wagemutiger Weise ab und bremste mit quietschenden Reifen vor einem maroden Eckladen. Sichtlich beruhigt kehrte er mit einem Pappbeutel zurück, der bis oben hin mit Marihuana gefüllt war. Einen Euro zahle man für das Gramm auf der Insel. Zum Vergleich: auf deutschen Straßen ist es das Zehnfache. Zigaretten sind in Jamaika deutlich teurer als Gras. Gut gelaunt setzte er die Fahrt fort und bewies uns seinen unfallfreien, obschon rasanten Fahrstil, während er hektisch mit seiner Freundin telefonierte. Dabei lehrte er seinen Limonadenbecher eilig und warf ihn schließlich einfach aus dem geöffneten Fenster. Ich war perplex und sprachlos, auch mein bester Freund war unfähig, sich zu äußern. Der Mann wirkte sehr dominant und sicher in seinem Verhalten. Hier und da ließ er Informationen über die Insel fallen und zeigte mir heimische Dancehall-Musik, während er sich einen Joint nach dem anderen anzündete. Nach knapp dreistündiger Fahrt hatten wir das Hostel in Port Antonio, der Hauptstadt der Region Portland, erreicht.
Endlich gestrandet
Dick bepackt schlugen wir uns durch einen kleinen Weg hin zu der Holzhütte, in der die Unterkunft gelegen sein sollte. Ein Nachbar sah uns und brüllte dem Inhaber zu, er habe zwei Weiße für ihn. Das befremdliche Gefühl, ein Ausländer zu sein, bemächtigte sich meiner. Der Host, Brian, führte uns durch einen engen Betonschacht hinein, in dem nicht einmal ich mit meinen knappen 1,60 Metern aufrecht stehen konnte. Das Haus besaß kein richtiges Dach, auch der Boden fehlte. Stattdessen wuchs in der Mitte der Hütte ein Bananenbaum in Richtung Himmel, wo sich Tausende von Sternen zeigten. In einer Ecke pflanzte Brian Cannabis an, von dem er sogleich etwas rauchte. Er wirkte streng, als er uns zu Beginn eine Reihe an Regeln erklärte, aber ich hoffte, von seinem kulturellen Erfahrungsschatz profitieren zu können. Am nächsten Morgen genoss ich die schönste Aussicht meines Lebens; Direkt vor meinem Zimmer breitete sich das durchsichtige Karibikwasser aus. Palmen säumten den Strand. Entschlossen trat ich meinen Weg zu einer farbenfrohen Hängematte am Strand an, überglücklich und überwältigt.
Meine Freude fand ein jähes Ende, denn Brian präsentierte mir seine neuesten Regeln, die sich gänzlich von den am Vortag aufgestellten unterschieden. Respektvoll hielt ich mich zurück. Den Tag verbrachten wir in Port Antonio, einer bunten Stadt voller hupender Autos und lachender Jamaikaner. Dort fielen wir, vielmehr unsere Hautfarbe, auf – ein ärmlich gekleideter Mann bat uns um Geld und Hilfe. So bot ich ihm an, einen Einkauf für ihn zu erledigen und dankbar nahm er an. Er schien uns jedoch mit zwei saftigen Weihnachtsgänsen zu verwechseln. Dem Irrtum aufgesessen, alle Europäer seien reich, bat er meinen besten Freund um immer mehr Geld. Als er unhöflich wurde, beeilten wir uns, zu verschwinden. Am Abend freute ich mich auf ein Essen am Strand, das ich gegen Bezahlung in Brians Küche vorbereitete. Dieser hatte seine Regeln ohne Absprache erneut geändert, anscheinend durften wir nun lediglich bezahlen, nicht aber kochen. Zumindest schien es so, als er mir meinen Teller wütend aus der Hand schlug und ihn kurzerhand im Meer versenkte. Ich wich zurück, ließ ihn einen Joint rauchen und verzog mich im Zimmer. Das aggressive Verhalten flößte mir allmählich Angst ein und ich war mir nicht sicher, ob der Graskonsum sein Gehirn entspannte oder zerfledderte. Am nächsten Morgen empfing der Hausherr uns mit einer Drohung. Wenn wir die Unterkunft nicht binnen zwei Minuten verließen, würde er gehen und uns eingeschlossen zurücklassen. Den Respekt, den er verlangte, schien er nicht erwidern zu können. Total perplex rafften wir unsere Habseligkeiten zusammen und rannten schockiert aus der Hütte.
Reggae und Mee(h)r
Dank diverser Buchungsapps fand ich zum Glück schnell eine neue Unterkunft, die an einem Berghang in der Nähe gelegen sein sollte. Die Fahrt erfolgte in einem vollgestopften Taxi. In dem Auto, das für fünf ausgelegt war, saßen wir also zu siebt – fünf Jamaikaner und wir. Wir unterhielten uns über kulturelle Unterschiede und die Differenzen zwischen britischem und jamaikanischem Englisch. Während das Taxi so durch die fruchtbaren Hügel kroch, stachen mir riesige Müllhaufen ins Auge. In geringen Abständen von wenigen Metern begrenzten sie die Strände zur Straße. Hier schien das ganz normal zu sein, wie ich auf Nachfrage beim Taxifahrer erfuhr. Die Jamaikaner wissen schlicht nicht, dass der nachlässige Umgang mit Müll ihre einzigartige Flora und Fauna zerstöre. Ein anderer sagte mir, man hätte das Plastik nie nach Jamaika bringen dürfen. Konsterniert stiegen wir aus und wurden von einer alten Dame höflich begrüßt. Sie zeigte uns das Zimmer in dem altmodischen Steinhaus und empfahl uns sogleich einen traumhaften Strand am Fuße des Berges.
Die „Blue Lagoon“ war eine bis zu 56 Meter tiefe Süßwasserlagune, die an einer Engstelle in die Karibik mündete. Illis, der sich selbst den Captain der Lagune nannte, führte uns herum. Ich könne gegen einen anständigen Preis auf seinem Bambusboot mitfahren und von dort aus schnorcheln. Das Angebot nahm ich an und wurde erneut von der unvergleichlichen Schönheit der karibischen Natur fasziniert; Neben Meeresschildkröten und bunt schillernden Fischen konnte ich riesige Krebse und andere Meerestiere sehen. Illis erzählte mir, dass Frauen in Jamaika traditionellerweise ihren Männern dienen und sie verwöhnen. Im nächsten Satz sagte er mir, ich sei wie geschaffen für ihn. Überrascht und mittelmäßig überfordert trat ich den Heimweg an, nachdem er die doppelte Summe des anfangs ausgemachten Preises verlangte. Über Illis erfuhr ich wenig später übrigens, dass er ein eheliches Kind hatte. Am folgenden Tag sahen wir uns einen anderen Strand in der Nähe des Hostels an. Schnell musste ich feststellen, dass ich dort die einzige Frau war. Meiner Sache jedoch sicher machte ich es mir mit einem Buch im Sand bequem. Es vergingen etwa fünf Minuten, bis der erste Mann sich langsam anpirschte. Er begann ein Gespräch über das Reisen und interessiert stieg ich ein. Etwa 15 weitere Minuten dauerte es, bis er mich bat, seine Frau zu werden. Entgeistert bat ich ihn, zu gehen, ich wolle weiterlesen. Die Ruhe hielt etwa zwanzig Minuten an, bis ein Junge sich mir näherte. Verschmitzt erkundigte er sich nach meinem Namen und meiner Nummer und verschwand wieder. Nicht, ohne zu versprechen, es später erneut zu versuchen. Der nächste Mann sah seine Chance und spazierte mit breitem Lächeln auf mich zu. Er wollte mir eine Tour durch die „Blue Lagoon“ anbieten, und dankend lehnte ich ab. Wenn ich etwas Anderes sehen wolle, könne er mir auch Touren dorthin anbieten. Außerdem habe er Freunde, die Touren in ganz Jamaika anbieten. Im nächsten Anlauf probierte er es mit dem Angebot, ich dürfe mit ihm in den Bergen wohnen. Auch das wies ich zurück und verabschiedete mich freundlich. Mit der Situation überfordert, stahl ich mich in die erfrischenden Wellen der Karibik und genoss das Gefühl von Freiheit. Die Umgebung war wahrlich schön, und es zerriss mir das Herz, dass sich auch dort der Müll türmte. Gott sei Dank konnte ich meine Empfindungen mit meinem besten Freund teilen. Dennoch kam ich nicht umhin, mich ständig beobachtet und irgendwie fremd zu fühlen. Der Eindruck, dass das mit meiner Haut zusammenhing, ließ sich nicht abschütteln. Plötzlich vernahm ich laute Musik vom Strand. Eine Horde Einheimischer tanzte rhythmisch im Kreis zu Reggae-Musik. Ich musste lachen und war endlos glücklich, dieses Land kennenlernen zu dürfen.
Die blauen Berge
Der Heimflug rückte näher. Also entschieden wir uns, noch ein paar Tage in den jamaikanischen Bergen, den „Blue Mountains“ zu verbringen. Auf dem Weg dorthin stoppten wir an einer Cannabisplantage. Der Besitzer erklärte uns viel Wissenswertes über die verschiedenen Sorten und den Anbau in Jamaika. Zwar seien Konsum und Züchtung nicht kriminalisiert. Um sicher zu gehen, seien die Plantagen jedoch in den hohen Bergen fernab jeder Verkehrsanbindung versteckt. Dann führte unsere Reise uns zu einem gemütlichen Freilufthaus in den Bergen. Ein höflich-distanzierter Mann begrüßte uns und zeigte uns unser Zimmer. Die Sicht über die üppig bewachsenen Berge Jamaikas war atemberaubend. Der Dschungel breitete sich vor uns aus. Selbst kochen durften wir zwar nicht, gegen einen kleinen Aufpreis bereitete uns der Host aber schmackhafte Mahlzeiten zu. Das Frühstück bestand aus original jamaikanischem Kaffee, frischem Obst und Toast. Dort probierte ich auch zum ersten Mal Zuckerrohr. Es wird abgekaut und hinaus tritt ein süßlicher Saft. Die ausgelutschten Pflanzenfasern lassen sich dann einfach in der Natur entsorgen. Mittags sonnte ich mich im Pool, zu dem man über einen kleinen, verschlungenen Pfad gelang. Das Gefühl von Erholung breitete sich in mir aus. Für den letzten Tag war die Abrechnung vorgesehen. Ich schnappte mir also unser gemeinschaftliches Portemonnaie und suchte den Host auf. Dieser konnte mit meinem Versuch, zu bezahlen, herzlich wenig anfangen, er wolle die geschäftlichen Dinge lieber mit „meinem Mann“, alias meinem Kumpel, abwickeln. Ich versuchte, zu widersprechen, doch er verstand nicht, dass wir gleichberechtigte Reisepartner waren. Resigniert gab ich auf und mit einem letzten Blick auf die verwunschene Landschaft, traten wir die Rückreise an.
Einzigartigkeit zum Erhalten schön
Die Reise hat mir einen unvergleichlichen Einblick in eine mir vollkommen fremde Kultur ermöglicht. Jamaika hat eine vielfältige Fülle an Natur zu bieten, an Land wie im Wasser. Die Insel ist ein sagenhafter Ort für Wanderer, Surfer, Taucher und Obstliebhaber. Ebenso lässt sich dort ein breites Spektrum an Musikgenres und eigenständigen Künstlern entdecken. Das Klischee des jamaikanischen Kiffers kann ich definitiv unterschreiben. Von etwa zwanzig Begegnungen dort, habe ich nur eine Person getroffen, die nicht täglich Cannabis konsumiert. Respekt ist das Geheimwort im Umgang mit allen Einheimischen, ja wird es regelmäßig sogar als Grußformel verwendet. Deutlich wurde mir aber der große gesellschaftliche Unterschied zwischen Männern und Frauen dort. Oft habe ich mich nicht ernst genommen oder sogar objektifiziert gefühlt. Ebenso habe ich zum ersten Mal Rassismus in geringer Form am eigenen Leib erfahren und nun ein erweitertes Bewusstsein für diejenigen, denen diese Diskriminierung systematisch widerfährt, erlangt. Die meisten Jamaikaner habe ich insgesamt als sehr hilfsbereit empfunden, trotz oder gerade aufgrund ihrer Armut. So konnte ich es den sich inflationär ausbreitenden Tourguides nicht übelnehmen, dass sie sich uns als Touristen gegenseitig abspenstig machten. Die Tourismusbranche ist verständlicherweise die Ertragreichste und Wichtigste der Insel. Die meisten Jamaikaner scheinen sich aber der massiven Umweltbelastung durch Müll nicht bewusst zu sein, und bedenken nicht, dass dies verheerende Auswirkungen auf ihre Zukunft haben kann. Die Reichhaltigkeit der Insel macht es ihnen leicht, an Selbstverständlichkeit und Ewigkeit zu glauben, das habe ich im Gespräch mit vielen Einheimischen gelernt. Verstärkte Aufklärung und nachhaltiger Tourismus könnten der Naturzerstörung aber immer noch entgegenwirken. Damit die Trauminsel ein Sehnsuchtsort bleibt. Jamaika belohnt den Besucher, der mit offenen Augen und einer unvoreingenommenen Einstellung kommt mit Weisheit und Schönheit.