Bachelor of Life
Heute: Aggression im öffentlichen Raum
Von Lina Schwarz
Ich war mal ein Kind und verstand vieles nicht. Wie konnten sich die Kinder in der Zauberkugel der Miniplaybackshow so schnell umziehen? Wieso können mich die Moderatoren vom Micky Maus Club nicht sehen, obwohl sie mich die ganze Zeit angucken? Warum schießen sich Menschen, die sich nicht kennen, in Kriegen tot? Zumindest Letzteres ist mir sehr viel klarer, seit ich mich auf den Bremer Straßen bewege. Und zwar nicht zwischen den Neubaublocks in Gröpelingen, sondern vor dem Feinkostladen in Schwachhausen. Eine zeternde ältere Dame zieht meine Aufmerksamkeit auf sich: Sie weist eine Frau, die gerade in ihr Auto einsteigen will, darauf hin, dass diese relativ dicht an einem Stromkasten geparkt hätte. So dicht gehe es nun wirklich nicht – was wäre, wenn sie (geschätztes Alter: Mitte 70) einen Kinderwagen dabei hätte? Als die Frau nur resigniert den Kopf schüttelt und ins Auto steigt, haut die 70-jährige mit Kraft auf die Motorhaube und krächzt: „Ich schreib mir ihre Autonummer auf!“ Ich stehe auf der anderen Straßenseite, zucke zusammen und hoffe, dass sich die Waffenverbotszone rund um den Bahnhof bis nach Schwachhausen erstreckt.
Öffentliche Aggressionen stauen sich nicht nur in Bremer Straßen. Das Großraumabteil des ICEs kann als Schauplatz des Hasses durchaus mithalten. Bei der Durchfahrt durch Wolfsburg regt sich ein Fahrgast telefonisch über die Preise heutiger Autos auf, die nur noch aus Plastik seien, während früher für 500 Euro ja noch wunderschöne Autos zu bekommen waren. Er werde nichts mehr mit Autos machen, auf so ‘ne Scheiße ließe er sich nicht mehr ein. Mit schneidender Stimme teilt ein anderer Fahrgast dem ehemaligen Autohändler mit, sein Gequatsche sei leider nicht mehr zu ertragen. Die Temperatur im Abteil fällt auf minus zehn Grad: Über den Sitzen und an den Fenstern entlang zieht sich eine Eisschicht. Der Störenfried entschuldigt sich. Der genervte Fahrgast: „Ist leider nicht mehr zu entschuldigen“. Ich rutsche in meinen Sitz, und nur die Bereitschaft der Menschen, sich gegenseitig menschlich zu behandeln, rutscht noch tiefer.
Wie geht man nur damit um? Der Geschwätzige im ICE hat einen interessanten Ansatz: Erst mal ein Bier im Boardrestaurant holen. Zusammen Biertrinken hätte durchaus Potenzial, besonders in der Bahn. Mit dem Bierpreis hat man gleich einen gemeinsamen Feind und nichts schafft mehr Nähe, als sich zusammen gegen einen Dritten verschwören zu können. Ich weiß das aus diversen Skatspielen. Allerdings wird für jede Runde neu bestimmt, wer der gehasste Dritte ist – so kommt jeder mal ran. Feindschaft im Team, aber dabei nicht persönlich werden. Skat hat das Zeug, Aggressionen in kontrollierte Bahnen zu lenken. Auch hier muss gereizt werden, allerdings nicht derart anarchisch wie im Zug oder auf der Straße, sondern nach festen Regeln und immer nur soweit, wie es die Karten erlauben. Selbst Günther Grass war nicht nur bei der SS, sondern auch ein begeisterter Skatspieler, der immer erst eine Nacht lang Skat spielte, bevor er einen Vertrag unterzeichnete. Skat hat eine beruhigende Wirkung, Skat ist der Konfliktlotse unter den Spielen.
Für das zwischenmenschliche Klima auf den Bremer Straßen wäre so ein Kartenspiel sicher sehr förderlich. Vielleicht alle mal Bier aus dem Boardrestaurant im ICE liefern lassen und eine große Skatrunde auf der Sielwallkreuzung spielen. Die Völkerverständigung kann beginnen.
Logo: Hüly Y.