Coronas literarische Vorboten – Geschichten über Viren und Pandemien

Teil 1: "Die Maske des roten Todes" von E. A. Poe

Schon zu Zeiten, als Corona noch das spanische Wort für “Krone” oder ein mexikanisches Maisbier war, waren Epidemien und Pandemien ein beliebtes Motiv in der Literatur, sei es, um vor einer bestehenden Gefahr zu warnen oder als Analogie zu anderen Sachverhalten. Im Anbetracht der aktuellen Lage haben wir eine neue Rubrik ins Leben gerufen: Coronas literarische Vorboten. Hier stellen wir Erzählungen und Romane vor, die von Viren und Pandemien handeln. Dabei schauen wir sowohl auf alte als auf jüngere Werke der Literaturgeschichte. Können wir aus manchen dieser Erzählungen vielleicht auch Schlüsse für die Gegenwart ziehen?

Von Florian Fabozzi

Eines Tages wütete der “rote Tod” über das Land. Eine Pandemie, die ihre Opfer nach dem Befall innerhalb von einer halbe Stunde umbringt und auf diese Weise schon die halbe Bevölkerung des Landes dahingerafft hatte. Die Opfer beklagen erst nur Schwindelanfälle, bis schließlich das Blut aus alle ihren Poren heraustritt. Einem scheint die tödliche Pandemie gleichgültig zu sein: Dem reichen Prinzen Prospero, der Freunde, Musiker und Komödianten auf sein Anwesen zu einem Maskenball einlädt. Ein Eisentor und mächtige Mauern verleihen der Burg vermeintlichen Schutz vor jedweder Gefahr von außen, Wein und viel Proviant sorgen für lange und ausgiebige Feierlichkeiten.

Diese finden in sieben unterschiedlichen Sälen statt, die in unterschiedlichen Farben erstrahlen. Die Gäste feiern ausgelassen und geben sich ihren Träumen hin, doch zu jeder Stunde erschraken sie für einen Augenblick, als der mächtige Glockenschlag der Wanduhr ertönte. Sobald jedoch der letzte Ton der Uhr ausklang, feierten sie weiter wie zuvor. Als die Uhr zu Mitternacht schließlich zwölf schlägt, bemerkten die Gäste einen neuen, ungebetenen Gast. Eine Erscheinung, die von Kopf bis Fuß in blutbefleckten Leichentücher gehüllt ist, das Gesicht des eines Toten nachgestellt. Dieses geschmacklose Kostüm entrüstete und erschrak die Menge, doch keiner traute sich so recht, den Eindringlich zu demaskieren. So schreitet der Prinz persönlich zur Tat. Als er sich mit einem Dolch bewaffnet dem Eindringlich nähert und ihm die Maske abzieht, stellt er fest, dass darunter nichts Fassbares ist. Der Gast ist der wahrhaftige rote Tod, der in das Anwesen eingezogen ist und alle Gäste das Licht des Lebens ausknipst.

Pest oder Tuberkulose?

Edgar Allan Poes schaurige Kurzgeschichte “Die Maske des roten Todes” von 1842 lässt einem heute noch das Blut in den Adern gefrieren. Seine Botschaft lautet ist klar: Dem Tod kann keiner entkommen. Die Krankheit “roter Tod” ist fiktiv, erinnert dabei unverkennbar an die Pest, die als “schwarzer Tod” bezeichnet wurde. Auch die rasche Verbreitung und fatale Todesrate erinnern an die Pest. Doch andererseits liegt es nahe, dass Edgar Allan Poe sich bei dem Symptomen eher an der Tuberkulose orientiert hat, dessen Krankheitsverlauf oft mit blutigen Auswürfen einhergeht. Seine Mutter starb an jener Tuberkulose und auch seine Frau erkrankte daran.

Die Botschaft, dass keiner dem Virus entrinnen oder sich vor ihm schützen kann, ist im Bezug auf den Corona-Virus entspricht natürlich nur der halben Wahrheit. Wir können uns schützen und uns glücklich schätzen, dass Corvid 19 mit dem blutrünstigen und aggressiven “roten Tod” nicht viel gemein hat und der Krankheitsverlauf in 80 Prozent der Fälle mild ausfällt, also über Fieber und Husten nicht hinausgeht. Daher soll in den folgenden Absätzen keine Panik geschürt, sondern nur vereinzelte Parallelen gezogen werden. Denn Poes Kurzgeschichte regt auch heute zum Nachdenken an.

Corona-Parties und Realitätsverweigerung

Prinz Prospero und sein Gefolge, dem mitten in einer gesellschaftlichen Katastrophe nichts besseres einfällt, als eine große Feier zu organisieren, erinnert frappierend an all jene Gruppen, die die Sicherheitsvorgaben ignorierten und sich auf sogenannte “Corona-Parties” vergnügt haben – selbst einen Monat nach Einführung der Kontaktsperre gibt es sie noch, wie zuletzt in einem Studierendenwohnheim in München. Poe beschreibt “reichlich Proviant”, den es auf der Feier gegeben habe, während draußen das Verderben herrschte. Dies lässt einen an die rücksichtslosen Vorratskäufe denken, die viele in den vergangenen Wochen getätigt haben. Gemäß dem Motto, jeder ist sich selbst am Nächsten. Bei Prinz Prospero und seinen Gästen handelt es sich um Realitätsverweigerer, die ihren Lebensstandard der Krise zum Trotz aufrechterhalten wollen, doch bald von der Realität eingeholt werden. Zu jedem stündlichen, warnenden Glockenschlag hören sie zu feiern auf, es ereilt sie ein Moment der Realisierung, wie uns, wenn wir in den Nachrichten Berichte von überfüllten Kliniken sehen. Doch nach einem Moment der Betroffenheit verdrängen sie die Tatsachen wieder und feiern weiter, als sei nichts gewesen. Auch ein solches Verhaltensmuster kennen wir aus unserer Gesellschaft: Wann immer Krisen geschehen, sind wir oft betroffen und versprechen in Zukunft, richtig zu handeln, um eine Wiederholung oder eine Eskalation zu verhindern. Doch viel zu schnell werden die guten Vorsätze wieder vergessen und beim nächsten Einkauf das halbe Nudelregal leer geräumt.

Wer die Realität verweigert, bemerkt Symptome zu spät, weil er sie nicht bemerken will.

Als die feiernden Gäste in Prosperos Anwesen den Virus in ihren Reihen bemerken, nehmen sie ihn erst nicht als solchen wahr, sondern als ein Jemand, der sich als Virus getarnt hat, einen Gaukler – dabei weilt die tödliche Krankheit womöglich unbemerkt schon länger unter ihnen. Als sie ihn bemerken, ist es schon zu spät, der Virus knöpft sich einem nach dem anderen vor. Das sollte uns insofern eine Lehre sein, als wir Symptome ernst nehmen sollten, in einem solchen Fall einen Arzt konsultieren, uns testen lassen, oder uns zumindest von anderen fernhalten sollten. Wir müssen dann akzeptieren, dass es wichtig ist, kürzer zu treten und vielleicht eine*n Mitbewohner*in zum Einkaufen schicken, anstatt sich selbst unter die Menge zu mischen.

Wer die Realität verweigert, bemerkt Symptome zu spät, weil er sie nicht bemerken will. Wenn wir merken, dass es uns nicht gut geht, ist die Quelle meist kein als Virus maskierter und getarnter Gaukler, sondern der Virus selbst. Doch keine Angst: Dieser Virus, und das gilt es zuletzt zu betonen, muss nicht Corona heißen. Denn oftmals wird in diesen Tagen vergessen, dass man immer noch an einer ganz gewöhnlichen Erkältung erkranken kann.

Übrigens: Poe’s Erzählung wurde 1964 vom Regisseur Roger Corman mit Vincent Price in der Hauptrolle verfilmt. Der deutsche Titel lautet “Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie”. Es handelt sich jedoch um eine etwas freie Interpretation, neben der Maske des roten Todes fließen hier auch Elemente von Poe’s Kurzgeschichte “Hopp-Frosch” (Hop Frog) mit ein. Der Film ist im Abo von Amazon Prime enthalten.

Die Maske des roten Todes, Edgar Allan Poe, Horror/Gothic Fiction, Grahams Magazine (Erster Herausgeber), 1842.

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