Don’t stop believing
Die Olympia-Kolumne
„Don’t stop believing“ – Wenn ich den Titel dieses Liedes höre, kommen so viele Bilder und Erinnerungen in meinem Kopf hoch, dass es mir schwer fällt, diese zu sortieren. Es sind Erinnerungen an die olympischen Winterspiele in Pyeongchang vergangenen Februar, die ich als Volunteer im deutschen Haus live mit erleben durfte.
Von Chantal Ranke
Das erste Bild, das hängen bleibt: Volunteers, MitarbeiterInnen, Kameraleute und Fotografen stehen am Eingang bereit zum Spalier. Alle halten ein bis zwei Fähnchen in der Hand und können es vor Spannung kaum aushalten. „Jetzt kommen sie,“ heißt es. Doch kurz darauf kommt die Ernüchterung und es heißt weiter warten. Die ganze Warterei wird genutzt, um die Leute, die vor Ort sind, einzuheizen. Jeder der durch unsere Gasse kommt, wird gefeiert und bejubelt, unabhängig davon, ob es ein Mitarbeiter oder ein Mann von Krombacher ist. Doch plötzlich laufen die Kameramänner hektisch nach draußen und nehmen die MedaillengewinnerInnen in Empfang. Wir nehmen unsere Position ein und los geht’s – Schreien, Klatschen, La Ola-Welle, jeder SiegerIn wird mit dem vollen Programm empfangen und zeigt dabei oft eine sehr emotionale Reaktion. Während des Einlaufens erklingen die ersten Töne des Journey-Songs, der sich innerhalb kürzester Zeit als unser neues Lieblingslied entpuppt hat.
Momente wie diesen konnten wir Volunteers auf Grund der guten Medaillenausbeute häufig genießen. Vierzehn Gold-, zehn Silber- und sieben Bronzemedaillen werden ausgiebig von allen Beteiligten gefeiert.
Natürlich hatte ich vorher Erwartungen und Hoffnungen, wie es im deutschen Haus ablaufen könnte. Der Slogan „Mitten drin, statt nur dabei“ wird wohl niemals wieder besser passen als zu diesen drei Wochen in Südkorea.
Das deutsche Haus die Partyhochburg
Ob tagsüber oder abends beim Medaillenempfang – Jederzeit konnte man sich mit Athleten und Trainern unterhalten, die sich wirklich Zeit genommen und die Atmosphäre sichtlich genossen haben. Die anfängliche Aufregung, wenn ein Sportler das Haus betreten hat, war schnell verflogen, da man sich nach ein paar Tagen einfach daran gewöhnt hatte und sich bewusst wurde, dass Sportler eben doch nur „ganz normale Menschen“ wie du und ich sind.
Das Haus hatte sich nach den ersten Erfolgen von Andreas Wellinger, den Biathleten wie Laura Dahlmeier und Arnd Peiffer und dem gesamten Rodelteam innerhalb von kürzester Zeit zur Partyhochburg Pyeongchangs entwickelt, sodass Sportler aller Nationen nahezu täglich Gast wurden. Norwegen, Österreich, USA, Neuseeland oder Australien sind nur einige der Gastnationen. Für meine Volunteer-Kollegen und mich waren die Besuche eines der Highlights. Genau das macht meiner Meinung nach den olympischen Spirit aus. Alle Nationen feiern gemeinsamen und beglückwünschen sich zu den Siegen, auch wenn sie selbst vielleicht eine Niederlage einstecken mussten. Das beste Beispiel für den fairen Sportsgeist ist Felix Loch. Der amtierende Olympiasieger patzte im vierten und entscheidenden Lauf und rutschte von seiner führenden Position auf den undankbaren vierten Rang. Durch seinen Fehler konnte jedoch ein anderer Rodler triumphieren: Johannes Ludwig ergattert die Bronze-Medaille. Doch statt sich im olympischen Dorf zu verkriechen und die herbe Enttäuschung zu verarbeiten, die unmittelbar nach dem Rennen unverkennbar war, kommt Loch als Erster des Rodelteams ins deutsche Haus und empfängt die Anderen so, als wenn er selbst eine Medaille gewonnen hätte.
Ein langgehegter Traum
Don’t stop believing – Ein Satz, den sich Eiskunstläuferin Aljona Savchenko sicherlich immer wieder sagen musste, um sich zu motivieren. Die Chance den Traum einer olympischen Goldmedaille zu erfüllen, ist für sie bei diesen olympischen Spielen wohl die Letzte. Für uns ist Tag 16 in Südkorea und wir erwarten mit Spannung die Kür der Eiskunstlaufpaare. Die Chancen auf die Goldmedaille für unseren Eiskunstlaufstar, der gemeinsam mit Bruno Massot antritt, ist eher gering, da sie durch einen Patzer im Kurzprogramm vorerst nur auf dem vierten Rang stehen. Wir nehmen unsere Plätze vor dem besten Fernseher an der Garderobe ein. Es ist mucksmäuschenstill. Keiner bewegt sich oder wagt auch nur zu atmen, einige sind so nervös, dass ihnen schlecht ist. Doch die beiden haben einen Sahne-Tag erwischt. Jede Pirouette, jeder Schritt, jede Handbewegung sitzt. Je länger die Kür dauert, desto mehr steigt die Hoffnung. Die Abschlussposition wird eingenommen und auf einmal fällt alle Last ab. Savchenko und Massot lassen ihren Emotionen freien Lauf, fallen sich in die Arme und Massot weint hemmungslos. Ein Moment für die Ewigkeit ist geschaffen. Die beiden laufen Weltrekord. Einziges Problem: Es folgen noch drei Paare. Die Kanadier bleiben hinter den Deutschen, sodass zumindest eine Medaille sicher ist. Dann kommen die Chinesen, die ebenfalls eine Wahnsinnsleistung bringen. Gefühlt lassen sich die Punkterichter eine Ewigkeit Zeit mit der Bewertung. Diese hätte knapper nicht ausfallen können: Die Deutschen liegen mit 0,5 Punkten vorne! Als das letzte Paar, die Russen, laufen, stehen wir mit bestimmt 15 Leuten vor dem Fernseher. An Sitzen ist nicht zu denken. Sie beginnen gut, doch dann kommt der erste Sturz, der Zweite und dann der Dritte! Jubel bricht bei uns im deutschen Haus aus und bricht so lange nicht mehr ab, bis Savchenko und Massot in der Flower-Ceremonie geehert werden. Die beiden bescherten uns sicherlich einen der emotionalsten Momente, sodass ich jetzt beim Schreiben immer noch eine Gänsehaut bekomme.
Von Kommunikation und Herzlichkeit
Einen großen Teil zu diesem tollen Erlebnis trugen auch Land und Leute bei. An einigen Stellen gab es große Kommunikationsprobleme, da die Koreaner wirklich kein Englisch konnten und das nicht nur in der Provinz Pyeongchang, sondern auch am Flughafen oder in Seoul direkt. Sprach dann mal einer Englisch, war die Aussprache oft so unverständlich, dass man nicht sicher sagen konnte, ob es sich nicht doch um Koreanisch handeln könnte. Aber von der Sprache abgesehen, haben die Koreaner sich als unfassbar freundliches und herzliches Volk präsentiert. Die IOC-Volunteers, die als Streckenposten in den Wettkampfstätten gearbeitet haben, hatten zu jeder Tageszeit und egal bei welcher Temperatur ein Lächeln im Gesicht und haben wie wild gewunken. Wir selbst hatten auch zwei koreanische Germanistik-Studentinnen im Team, die dieses menschlich mehr als bereichert haben. Einerseits waren sie sprachlich eine große Hilfe, andererseits sind sie innerhalb der kurzen Zeit Freunde geworden, mit denen man über alles mögliche reden konnte und die mit ihrer erfrischenden, zuvorkommenden und lieben Art alle in ihren Bann ziehen konnten.
Was wird bleiben?
Neben der Euphorie, die Land, Leute und vor allem der Sport mit sich brachte, darf man die kritischen Seiten nicht vergessen, auch wenn es schwer fällt. Wenn man tagsüber bei Sonnenschein am Abfahrtshügel steht und tollen Sport genießt, kann man schnell vergessen, dass hierfür Menschen ihre Häuser verlassen und umziehen mussten und ein Naturschutzgebiet mit über 600 Jahre alten Bäumen gerodet wurde. Die Vergabe an diese Region muss man, nachdem man da gewesen ist, noch kritischer betrachten. In der Region leben insgesamt nur wenige Menschen, die sich nicht sonderlich für den Sport interessieren. Die Koreaner strömten zwar in die Stadion, doch beließen sie es häufig dabei, ein Selfie zu schießen und dann wieder zu verschwinden. Beim Skispringen auf der Kleinschanze verließen die meisten das Stadion nach dem ersten Durchgang, da ihnen nicht bewusst war, dass es überhaupt einen zweiten Durchgang gibt. Insgesamt wurden viele Millionen Euro in Wettkampfstätten investiert, die wie z.B. das Olympiastadion ganz oder zum Teil wieder abgerissen werden, da keine Möglichkeit für eine sinnvolle Nutzung besteht. Ob die Koreaner jetzt die Lust und Leidenschaft am Sport gefunden haben bleibt fraglich. Selbstverständlich sind sie in Disziplinen wie Short Track oder Eisschnelllauf gut vertreten, aber das sind nur zwei von vielen Sportarten und in den klassischen Wintersportarten wie Biathlon, Skispringen oder Ski Alpin sucht man vergeblich nach Koreanern in der Weltspitze. Eines ist klar: Nun, wo auch die paralympischen Spiele vorbei sind, wird in Pyeongchang wieder Ruhe einkehren. Der Gedanke daran, den Ort in einem Jahr erneut zu besuchen, beängstigt mich sehr, da man höchstwahrscheinlich verlassene Sportstätten en masse vorfinden wird. Der Zauber, der noch vor wenigen Wochen verbreitet wurde, wird schneller verflogen sein, als man denkt.
Eine Hoffnung, die sich allerdings ergeben hat, ist die Hoffnung einer koreanischen Wiedervereinigung. Diese konnte durch die Spiele gehoben werden. Im Eishockey der Damen gab es ein gesamtkoreanisches Team und das Einlaufen aller Koreaner zusammen war für die Meisten der emotionalste Moment der Eröffnungsfeier. Die Südkoreaner glauben fest daran und der Weg für erste Gespräche ist geebnet. Es ist zwar ein sehr langer und schwerer Weg, doch sollte sich in den Gesprächen über Jahre hinweg etwas ergeben, hat der olympische Geist einen großen Anteil daran.
Rückblickend muss man die negativen Seiten zwar betrachten und sie sich ins Gedächtnis rufen, doch was bleibt sind tolle, spannende und emotionale Erfahrungen, die jegliche Erwartungen übertroffen haben. Die Euphorie, die wir mitgenommen haben, ist unfassbar groß und ich denke, dass wir noch alle lange davon zehren können und erzählen werden. Auch zwischen den Volunteers sind Freundschaften entstanden und wir nehmen uns fest vor, uns wieder zu treffen. Das Motto „Don’t stop believing“ kann sowohl für die Sportler als auch für uns, die ein Teil des Ganzen gewesen sind, gelten, da für viele von uns eine langer Traum wahr geworden ist.
Bildergalerie
Alle Fotos stammen von der Autorin selber.