Filmkunst vom Polarkreis

Die Island-Filmtage im City46

Anlässlich des von der Europäischen Kommission ausgerufenen Kulturerbejahres 2018 veranstaltete das Kommunalkino City 46 vor zwei Wochen eine viertägige Filmreihe zu Ehren des isländischen Kinos. Dem Zuschauer bot sich die ästhetische und bildgewaltige Zurschaustellung einer aufstrebenden Filmszene.

Von Florian Fabozzi

Kaum ein ambitionierter Journalist bedient gerne Klischees, lieber möchte man mit ihnen brechen und verborgene Wahrheiten zu Tage fördern. Doch in jedem Klischee, so heißt es, liegt ein Körnchen Wahrheit. Im Falle von Island, des kleinen Inselstaats im Nordatlantik, ist es ein ganzes Kornfeld. Denn selbst wenn man es versuchte, gelänge es nur schwer, in Island einen Film ganz ohne felsige Landschaften, sprudelnde Wasserfälle und verschneite Fischerdörfer zu drehen. In Island ist der Mensch eins mit der endlosen Natur samt ihrer Gewalten, die selbst in einer Mini-Metropole wie Reykjavik allgegenwärtig sind. Und wenn dann auch noch Wahrsagerinnen und magische Wesen die Bühne betreten, ist das Klischeebingo vollkommen. Bei den Island-Filmtagen im City46 gab es all das zu sehen – gewürzt mit trockenem Humor, einer Prise Brutalität und vor allem einem: Drama.

Die Island-Filmtage waren ein Bestandteil des Programms “Bremen und Skandinavien”, das anlässlich des Kulturerbejahres 2018 ins Leben gerufen wurde. Neben einer Sonderausstellung im Dommuseum, die die Christianisierung Skandinaviens durch Bremer Bischöfe und Missionare im Frühmittelalter zum Thema hat und einer Kunstausstellung im Güterbahnhof, bildeten die Filmtage die dritte Säule des Programms. Ein Musikprogramm ist unterdessen noch in Vorbereitung.

Von träumenden Teenagern und reisefreudigen Rentnern

© City46

Eröffnet wurden die Filmtage am Donnerstagnachmittag mit dem Drama “Noi Albinoi” aus dem Jahr 2003. Der lethargische und in sich gekehrte Protagonist Noi führt ein zielloses und monotones Leben inmitten eines einsamen Dorfes. Die Schule besucht der 17-jährige nur höchst selten und stattdessen vertreibt er sich die Zeit mit Praktika oder geht skurrilen Hobbys wie der Manipulation von Spielautomaten in einer Tankstelle nach. Genau dort lernt er Iris kennen, in die er sich sofort verliebt. Bald werden sie ein Paar und beginnen von einem Leben an einem besseren Ort zu träumen, fernab von der tristen und öden Heimat.
Trotz eines zutiefst tragischen Endes besticht “Noi Albinoi” durch verschrobene Charaktere und lakonische Situationskomik. Vor allem die alltäglichen Missgeschicke des Protagonisten werden sehr amüsant inszeniert.

Ein Meilenstein des isländischen Kinos folgte im Anschluss. “Children of Nature” (Börn náttúrunnar) aus dem Jahr 1992 handelt vom 80-jährigen Bauern Geiri, der von seiner Familie in ein Seniorenheim in Reykjavik eingewiesen wird. Dort trifft er auf eine rüstige und renitente Dame, die sich als seine Jugendliebe Stella herausstellt. Aus einer nostalgischen Laune heraus beschließen die beiden aus dem Altenheim auszubrechen und sich auf die Reise ins Heimatdorf zu begeben.
“Children of Nature” ist ein Roadmovie der besonderen Art, der mit wenigen Worten eine rührende Geschichte über Zusammenhalt und Selbstbestimmung erzählt. Die Synthese aus unberührten Landschaftsaufnahmen und dem eindringlichen Soundtrack von Hilmar Örn Hilmarsson bringt alle Sinne in Regung. Nicht umsonst durfte “Children of Nature” sich über eine Oscarnominierung als bester ausländischer Film freuen. Der hierzulande bekannte Schauspieler Bruno Ganz hat im Übrigen einen Cameo-Auftritt als Engel.

Unbarmherzige Naturkräfte

Nachdem am Donnerstag die Schwergewichte der isländischen Filme das Licht der Leinwände erblickten, wurden am Freitag unbekannte und brandneue Filme präsentiert. “Cold Light” (Kaldaljós) aus dem Jahr 2004 erzählt in Rückblenden vom 10-jährigen Grimur, der die Gabe besaß, mit seinen Zeichnungen die Zukunft vorherzusagen. Auf diese Weise konnte er sich vor einen Lawinensturz retten – nicht aber seine Familie, die dabei ihr Leben verlor. In der erzählten Gegenwart ist Grimur ein etwa 40-jähriger Hobbykünstler, der noch immer dabei ist, die tragische Vergangenheit zu erarbeiten und mühsam versucht sein Leben und seine frische Beziehung in geordnete Bahnen zu lenken. Die permanente Bedrohung der Naturgewalten, die den Alltag in Island prägen, wird in “Cold Light” auf drastische Weise verdeutlicht. Regisseur Hilmar Oddsson war persönlich vor Ort und stellte sich nach dem Film den Fragen der neugierigen Zuschauer.

Am Abend kamen dann auch die Thriller-Fans endlich auf ihre Kosten. Im brandneuen Streifen “Vultures” (Vargur) versuchen zwei Brüder mit einem gewieften Kokainschmuggel der finanziellen Armut zu entkommen. Ein Vorhaben, dass in einem blutigen Desaster endet.

Der Samstag stand ganz im Zeichen der “Short Film Collection”, die im City 46 regelmäßig stattfindet und diesmal ein Mix aus neun Kurzfilmen von isländischen und deutschen Regisseuren bot. Sowohl die zahlreichen Zuschauer – hier blieb kaum ein Platz leer – als auch eine vierköpfige Jury durften im Anschluss für ihren Favoriten abstimmen. Die isländischen Beiträge gingen bei der Siegerehrung leer aus. Stattdessen wurde die Berlinerin Astrid Menzel für ihren Film “Nicht im Traum” zur Siegerin gekürt. Dabei handelt es sich um eine zutiefst bewegende Darstellung eines alten Ehepaars, das trotz schleichender Demenz und eingeschränkter Mobilität eigenständig den Alltag zu meistern versucht.

Das Beste kommt zum Schluss

© EMI Records

Eine isländische Filmwoche ist nicht komplett ohne einen Ausflug in die blühende Musiklandschaft des Landes. Keine Band symbolisiert die Erhabenheit und Einzigartigkeit Islands so gut wie die Kult-Band Sigur Rós. Mit ihren sphärischen und verträumten Klangmustern, die zuweilen nicht von dieser Welt zu sein scheinen, füllen sie nun schon seit 24 Jahren die Hallen dieser Welt. Doch bei all den Welttourneen sollte man nie vergessen, wo man herkommt, dachten sich die Post-Rocker 2006 und organisierten eine spontane und unangekündigte Heimat-Tournee an acht öffentlichen Standorten in Island. Der Film “Heima”, der am Sonntag den Schlusspunkt der Filmtage setzte, zeigt Ausschnitte dieser Konzerte inmitten idyllischer Landschaften sowie Interviews mit den Bandmitgliedern. Unter den Fans der Band löste der Film auch bei der zehnten Ansicht noch multiple Ohrgasmen aus. All jenen Zuschauern, die mit Sigur Rós noch nicht vertraut waren, mussten sich gewiss erst auf ihren speziellen Stil einlassen.

Wer über die Zeit und den Enthusiasmus verfügte, erwarb sich für 20 Euro eine Dauerkarte für alle Vorführungen der Filmtage. Dies erforderte allerdings einen ausgeprägten Island-Faible. Es war durchaus lohnenswert, sich die besten Rosinen rauszupicken, denn dank der gewissenhaft ausgewählten Zusammenstellung war für die meisten etwas Interessantes dabei. So gab es beispielsweise auch ein gesondertes Kinderprogramm.
Leider erwies sich die Durchführung in den vier Tagen als ein wenig chaotisch. Der Moderator, der vor jedem Film eine kurze Einführung gab, wusste oft nicht einmal, welche Fassung des Filmes vorliegt. “Cold Lights” wurde entgegen der Ankündigung mit deutschen statt mit englischen Untertiteln ausgestrahlt – zu Ungunsten der internationalen Zuschauer, die weder der deutschen noch der isländischen Sprache mächtig waren. Der Kinderfilm “Die Falken” musste kurzfristig gar aus dem Programm gestrichen werden, da die deutsche Synchronfassung nicht rechtzeitig vorlag. Angesichts der guten Filmauswahl können die organisatorischen Mängel den guten Gesamteindruck allerdings nicht trüben.

Titelbild: Alex Kind

Alle Filme im Überblick

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Ikingut

Jahr: 2000

Länge: 85 Minuten

Regie: Gísli Snær Erlingsson

Darsteller (u.a.): Hjalti Rúnar Jónsson, Hans Tittus Nakinge

Genre: Abenteuer

© Berlinale

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