„Germanistik? Und was macht man dann damit?“

Von Pia Zarsteck

„Ich stu­die­re Ger­ma­nis­tik, aber nicht auf Lehr­amt. Son­dern auf Ta­xi­fah­rer“, so ein­mal ein Kom­mi­li­to­ne am An­fang mei­nes Ba­che­lor­stu­di­ums – pas­send zu der ul­ti­ma­ti­ven Kil­ler­fra­ge, die wohl be­son­ders Ger­ma­nis­ten mehr als ein­mal im Freun­des­kreis, in der Fa­mi­lie und ei­gent­li­ch von je­dem ge­fragt wer­den: „Und was macht man dann da­mit?“

Es gibt ei­gent­li­ch nur zwei Re­ak­tio­nen auf den Satz „Ich stu­die­re Ger­ma­nis­tik“: „Oh Gott!“ und „Oh, cool!“ Ich hat­te schon bei­de häu­fig und kann gar nicht ge­n­au sa­gen, ob eine der bei­den über­wiegt. So oder so gibt es Un­men­gen von Vor­ur­tei­len, die al­ler­dings nicht nur das Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik für sich be­an­spru­chen darf: In­for­ma­ti­ker sind al­les Kel­ler­kin­der, die nur vor ih­rem über­di­men­sio­nier­ten Hyper-PCs sit­zen. Phi­lo­so­phen tra­gen aus­schließ­li­ch Schlab­ber­look und Ma­schi­nen­bau­stu­die­ren­de Ka­ro­hem­den. Und BWL stu­diert man eh nur, wenn man son­st kei­ne Ide­en oder Ta­len­te hat. Viel­leicht ist ja so­gar je­des Stu­di­en­fach mit der ein­gangs ge­stell­ten Fra­ge ge­straft, mal häu­fi­ger, mal sel­te­ner. Aber blei­ben wir mal bei der Ger­ma­nis­tik, denn sie ge­hört auf je­den Fall in die Ka­te­go­rie „häu­fi­ger“.

„Ein Ger­ma­nis­tik­stu­di­um kann doch je­der schaf­fen.“ Wirk­li­ch? Zu­er­st ein­mal müs­sen an­ge­hen­de Ger­ma­nis­tik­stu­die­ren­de ein La­ti­num oder aus­rei­chend Kennt­nis­se in zwei le­ben­den Fremd­spra­chen vor­wei­sen kön­nen. Aber noch viel wich­ti­ger: Man muss die Spra­che lie­ben, viel und ger­ne le­sen wol­len, Si­cher­heit in Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung mit­brin­gen – erst mit den Grund­la­gen braucht man hier gar nicht an­zu­fan­gen, die müs­sen be­reits sit­zen – und kei­ne Angst vor der gan­zen Band­brei­te an Tex­ten in deut­scher, aber durch­aus auch mal eng­li­scher Spra­che ha­ben. Vor­ur­tei­le zei­gen letzt­end­li­ch nur, dass die- oder der­je­ni­ge kei­ne Ah­nung hat, was im Stu­di­um ver­mit­telt wird.

Ger­ma­nis­tik – was für ein Stu­di­um ist das ei­gent­li­ch???

„Im Ger­ma­nis­tik­stu­di­um liest man ge­müt­li­ch auf dem Sofa Bü­cher und plau­dert an­schlie­ßend bei ei­ner Tas­se Tee dar­über.“ So je­den­falls sieht ein Ger­ma­nis­tik­stu­di­um nicht aus. „Es ist wie in der Schu­le: dem Au­tor ir­gend­wel­che In­ten­tio­nen in den Mund le­gen“ – nein, auch das ist nicht kor­rekt. Die Ger­ma­nis­tik be­schäf­tigt sich mit mit­tel­al­ter­li­cher Li­te­ra­tur und Spra­che (Me­diä­vis­tik), mit der Sprach­wis­sen­schaft (Lin­gu­is­tik) und mit der deut­schen Hoch­li­te­ra­tur (Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft). Aber auch mit Li­te­ra­tur, die man nicht so­fort auf dem Schirm hat: Tri­vi­al­li­te­ra­tur, nicht-deutschsprachige Li­te­ra­tur und so­gar Fil­men und Mu­sik.
Über­haupt sind Me­di­en wich­ti­ger als man­cher an­neh­men mag, ob­wohl ein Ger­ma­nis­tik­stu­di­um nicht mit dem Stu­di­um der Jour­na­lis­tik zu ver­wech­seln ist! Be­son­ders zu An­fang sor­tie­ren ei­ni­ge Pro­fes­so­rIn­nen und Do­zen­tIn­nen ger­ne et­was akri­bi­scher aus, denn die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ger ist nicht eben ge­ring. Klau­su­ren, be­son­ders auch E-Klausuren, gibt es vie­le in den ers­ten Se­mes­tern, die schlicht­weg die Grund­la­gen in Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft, Lin­gu­is­tik und Me­diä­vis­tik ab­fra­gen.

Und zu­letzt noch: Es gibt nicht nur ein „rich­ti­ges“ Deut­sch – un­ter­schied­li­che Dia­lek­te, Ju­gend­spra­chen und so wei­ter zei­gen eine nicht zu ver­ach­ten­de Viel­falt auf, ganz ab­ge­se­hen von den un­ter­schied­li­chen Stu­fen der Sprach­ent­wick­lung, die bei me­diä­vis­ti­scher Be­trach­tung auf­ge­zeigt wer­den.

Nach die­sem Bli­ck auf die The­men­fel­der ei­nes Ger­ma­nis­tik­stu­di­ums dürf­te die ei­gent­li­che, wirk­li­ch ele­men­ta­re Hür­de ziem­li­ch deut­li­ch sein: Man muss die Spra­che in all ih­ren Fa­cet­ten lie­ben. Du hast die vier Bü­cher von „Twi­light“ an ei­nem Wo­chen­en­de durch­ge­le­sen? Qua­li­fi­ziert dich noch lan­ge nicht für ein Ger­ma­nis­tik­stu­di­um! Du gehst Freun­den und Fa­mi­lie auf den Geist, in­dem du ihre Gram­ma­tik ver­bes­ser­st oder du wirst als ers­tes ge­fragt, wenn es um die Prü­fung von Zei­chen­set­zung im Be­wer­bungs­an­schrei­ben geht? Dann dürf­test du hier per­fekt auf­ge­ho­ben sein!

Abs­trakt und per­spek­tiv­los?

Zwar mag all das et­was abs­trakt – im Ge­gen­satz zu ei­ner Tisch­ler­leh­re zum Bei­spiel – und auch aus­sichts­los klin­gen, aber so per­spek­tiv­los ist das Stu­di­um dann doch nicht. Wirk­li­ch nicht! Denn im­mer­hin ist die heu­ti­ge Ge­sell­schaft mehr denn je auf Spra­che und Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­ge­legt. Bei­des spielt eine ele­men­ta­re Rol­le bei Bü­chern, im Fern­se­hen, Ra­dio oder In­ter­net und auch auf dei­nem Smart­pho­ne. Im Grun­de also über­all, wo be­stimm­te In­hal­te ei­ner ge­wis­sen Ziel­grup­pe ver­mit­telt wer­den sol­len. Nur für eine Spar­kas­sen­wer­bung, in der der neu­es­te fürch­ter­li­che Ju­gends­lang breit­ge­tre­ten wird, be­nö­tigt man si­cher kein Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik… Aber das ist noch ein an­de­res The­ma.

Kon­kre­te Job­per­spek­ti­ven mö­gen auf den ers­ten Bli­ck nur bei Lehr­amts­stu­die­ren­den deut­li­ch sein, auf den zwei­ten bie­ten sich für „be­rufs­ori­en­tier­te“ Ger­ma­nis­tik­stu­die­ren­de je­doch weit mehr Mög­lich­kei­ten. Nur hängt dies eben von der je­wei­li­gen Per­son ab, denn ganz all­ge­mein ge­spro­chen be­rei­tet das Stu­di­um na­tür­li­ch nicht auf ei­nen be­stimm­ten Be­ruf vor. Das lässt sich nicht ab­strei­ten. Ein ent­spre­chen­des Zweit­fach, die Wahlen vom Stu­di­en­schwer­punkt (neue­re deut­sche Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft, Lin­gu­is­tik oder Me­diä­vis­tik), Be­le­gung von be­stimm­ten Se­mi­na­ren und Er­wer­bung von wei­te­ren Zu­satz­qua­li­fi­ka­tio­nen – durch all das kön­nen sich in ganz un­ter­schied­li­chen Bran­chen Job­mög­lich­kei­ten ent­wi­ckeln.

Ja, ihr wollt es noch kon­kre­ter, ich weiß!

Jour­na­lis­mus – denn man muss kei­ne Jour­na­lis­ten­schu­le be­su­chen oder „ir­gend­was mit Me­di­en“ stu­die­ren, um in die­sem Be­reich Fuß zu fas­sen. Tat­säch­li­ch ist das Ger­ma­nis­tik­stu­di­um eine häu­fi­ge Wahl für die­je­ni­gen, die ger­ne „in‘ Jour­na­lis­mus“ möch­ten. Und nicht we­ni­ge Se­mi­na­re mit me­dia­lem Schwer­punkt kön­nen auch im Ger­ma­nis­tik­stu­di­um be­legt wer­den.

Ver­lags­ar­beit – denn wo ist die Spra­che bit­te wich­ti­ger als in Bü­chern und Ma­ga­zi­nen? Das Ver­lags­we­sen bie­tet hier­bei vie­le Mög­lich­kei­ten, wenn es auch ein schwie­ri­ges Be­rufs­feld sein mag. Von der an­de­ren Sei­te be­trach­tet, wol­len na­tür­li­ch auch vie­le Ger­ma­nis­tik­stu­die­ren­de Au­to­rin oder Schrift­stel­ler wer­den. Zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen ein eben­so schwie­ri­ges Be­rufs­feld, aber na­tür­li­ch nicht un­mög­li­ch!

Bil­dung und Wei­ter­bil­dung: Das kann zum Bei­spiel von Hochschul- und Uni­ver­si­täts­do­zen­tIn­nen bis zu Er­wach­se­nen­bil­dung rei­chen.

Tex­te­rIn: Ein sehr brei­tes Feld, wie ge­schaf­fen für Ger­ma­nis­ten! Ob Tex­te für ein Thea­ter oder doch ein Mu­se­um, für klei­ne­re oder grö­ße­re Fir­men, gan­ze Städ­te oder Land­krei­se, ir­gend­wie kön­nen über­all mal pro­fes­sio­nel­le Tex­ter ge­braucht wer­den, die Wer­be­tex­te, Image­bro­schü­ren oder Slo­gans for­mu­lie­ren. Apro­pos klei­ne­re und grö­ße­re Fir­men…

…die Öf­fent­lich­keits­ar­beit – das ist ein be­son­ders gro­ßes und lu­kra­ti­ves Feld der Ger­ma­nis­ten. Be­son­ders grö­ße­re Un­ter­neh­men ha­ben so eine Ab­tei­lung. Vom Kran­ken­haus und der Uni­ver­si­tät über Pro­duk­ti­ons­fir­men bis hin zu Dienst­leis­tern – geht es um die Prä­sen­ta­ti­on in der Öf­fent­lich­keit, sind Ger­ma­nis­ten mit ent­spre­chen­den Zu­satz­qua­li­fi­ka­tio­nen gern ge­se­hen.

Wei­ter­hin kann man uns in Unternehmens- und Me­di­en­be­ra­tung fin­den, in der Tourismus- und Wer­be­bran­che (be­son­ders mit Kul­tur­wis­sen­schaft oder Me­di­en­äs­the­tik im Zweit­fach) oder auch in Bi­blio­the­ken und so wei­ter.

„Was macht man dann da­mit?“ – „Vie­les.“

Schwam­mig schei­nen­de Job­per­spek­ti­ven kann­st du also ein­fach als ein Pool aus zahl­lo­sen Mög­lich­kei­ten se­hen, denn wich­tig ist, was du dar­aus machst. Al­ler­dings zeigt mein Text, wie schwie­rig es ist, eine knap­pe Ant­wort auf die Fra­ge „Und was macht man dann da­mit?“ zu ge­ben. Also sag ich meis­tens nur: „Vie­les.“ Wenn die Fra­ge kon­kre­ter wird, näm­li­ch was ich denn da­mit ma­chen will, so ist die Ant­wort im Lau­fe mei­nes Stu­di­ums und der Ver­meh­rung von mög­li­chen Per­spek­ti­ven kom­pli­zier­ter ge­wor­den. Dann gibt es eben nur für die eine Ant­wort, die es wirk­li­ch in­ter­es­siert.

Dieser Text erschien zuerst im Bücherstadt Kurier

Titelbild: Pia Zarsteck

Das könnte dich auch interessieren

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *