Go, and catch a falling star…
Für sein romantisches Märchen erhielt Neil Gaiman nicht nur den Mythopoeic Award. Stardust entführt den Leser in eine magische Welt und regt zum Nachdenken über die Fragen des Lebens an. Somit durchleben Protagonist und Leser eine Reise auf zwei Ebenen: eine Reise der Abenteuer und eine Reise auf mentaler und philosophischer Ebene.
von Christine Leitner
Gaiman verarbeitet in seinem Roman eine wahrhaft romantische und zugleich traumhafte Idee: Er schickt den jungen Protagonisten Tristran Thorn auf die Suche nach einer Sternschnuppe. Damit schafft es der Autor aus dem wunderschönen, aber durch seinen alltäglichen Gebrauch verkitschten Sprichwort „Hol‘ mir die Sterne vom Himmel“, wieder etwas Besonderes zu machen. Stardust ist ein Märchen, das sich im Kern mit der Frage nach der wahren Liebe und der Verwirklichung von Träumen beschäftigt. Kann man noch von Liebe sprechen, wenn man den anderen erst durch Versprechungen überreden muss? Bedeutet Liebe überhaupt, um jemanden kämpfen zu müssen? Stardust fragt nach dem zarten Unterschied zwischen wahrer Liebe und purer Selbstsucht. Denn dieser verschwimmt zum Teil ebenso wie die Grenzen zwischen Realität und Fantasie.
Once upon a time, …
Dies zeigt Neil Gaiman in der Trennung zweier Welten: Das kleine Dörfchen Wall im England des Victorianischen Zeitalters und Faerie, eine magische Welt voller fantastischer Wesen, Magie und Gefahren, sind durch eine Mauer getrennt. Nur ein Spalt lässt einen regelmäßigen Besuch der magischen Bewohner in Wall zu. Wie es der Zufall will, gelangt durch diesen Spalt ein kleines Wesen in die Menschenwelt, das zu dem mutigen jungen Tristran Thorn heranwächst und sich schließlich in die Dorfschönheit Victoria Forester verliebt. Als Tristran ihr seine Liebe gesteht, weist das Mädchen ihn ab. Doch seine Liebe kennt keine Grenzen, schon gar nicht die zwischen Wall und Fearie. So macht sich Tristran auf und begibt sich auf die Suche nach dem Stern, der an dem Abend seines Liebesgeständnisses vom Himmel fiel. Dabei führt ihn sein Weg unweigerlich in die magische Welt der Fantasiewesen, in welcher die Gefahren hinter jeder Ecke lauern.
„PThe only ones who ever come here (…) are the minstrels, and the lovers, and the mad. And you don’t look like a minstrel (…). So it’s love, if you ask me.“ „Because,“ announced Tristran, „every lover is in his heart a madman, and in his head a minstrel.“
Was der junge, unbedarfte und ein wenig naive Protagonist jedoch nicht ahnt: Er ist nicht der einzige, der sich auf die Suche nach dem Stern macht… Treibt ihn die Liebe in das magische Reich, so sind es bei seinen Konkurrenten Gier, Macht und der Wunsch zur Selbsterhaltung. Während die Hexe auf der Jagd nach dem Herzen des Sterns ist, um ihre Jugend zurückzugewinnen, kämpfen die drei verbliebenen Söhne des verstorbenen Monarchen von Stormhold um den Thron. Was sie jedoch alle eint, ist die pure Eigenliebe, die Missgunst anderen gegenüber, die Selbstsucht. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Charakter des Protagonisten genauer unter die Lupe nimmt: Tristran verliebt sich in die schöne Victoria. Ihre Schönheit wird immer wieder betont. Doch scheint diese Liebe keine zu sein, denn bedeutet Liebe nicht viel eher, nicht um jemanden kämpfen zu müssen, ihn gehen zu lassen, das Beste für ihn zu wollen und seine Entscheidung zu akzeptieren? Zu erkennen, wo Liebe endet und der Egoismus beginnt, ist ein weiteres Thema, das Gaiman in seinem Märchen aufgreift. Davon hat der junge Protagonist jedoch nicht den blassesten Schimmer und so muss er sich auf eine Odyssee begeben, um sich über die wahre Bedeutung von Liebe klar zu werden. Doch nicht nur die Liebe spielt in Gaimans Märchen eine wichtige Rolle. Der Autor behandelt Themen der Herkunft und den Weg zur Selbstfindung.
Ein Märchen à la Gebrüder Grimm?
Damit erinnert Gaimans Roman stark an einen klassischen Bildungsroman. Der Held zieht aus seinem Zuhause fort, um sich in der Ferne zu behaupten und kehrt als neuer Mensch zurück. Was die Geschichte nun so märchenhaft macht, ist nicht allein das Setting. Eine Märchenwelt mit dunklen Wäldern, einem herrenlosen Thron, Hexen, magischen Wesen, und nicht zu vergessen die Idee, dass der Held am Ende seine wahre Liebe findet und ein Schlösschen als neuen Wohnsitz erhält. Jedoch glänzt das Märchen noch auf einer ganz anderen Ebene, die Gaimans Talent im Umgang mit Worten betrifft. So begeistert die Geschichte vor allem durch die poetische Erzählweise. Von einem Kindermärchen kann hier jedoch nicht gesprochen werden, allein aufgrund der Tiefgründigkeit seiner Themen. Doch was noch viel wichtiger ist: Mit seinen teils sehr blutrünstigen Szenen erinnert Stardust an die Märchen der Gebrüder Grimm.
Go, and catch a falling star …
In Anbetracht der Tatsache, dass der Buchmarkt regelrecht überschwemmt wird mit neuen Geschichten, die sich kaum noch voneinander abheben, ist es beachtlich, wie es der Autor geschafft hat, aus einer einfachen Idee, aus einem einfachen Sprichwort, eine so einzigartige Geschichte zu machen. Faszinierend lassen nicht nur Idee und Sprachtalent anmuten: Auch die Art und Weise, wie der Autor die einzelnen Schicksale der Figuren miteinander verwebt und ihre Konstellation entwickelt, ist beeindruckend. Jedoch ist das Werk nicht makellos, denn das Ende ist sehr vage und deutet gewisse Ereignisse nur an. Die differenzierte, gut durchdachte und detailreiche Ausarbeitung zu Beginn lässt gegen Ende sehr zu wünschen übrig und lässt einen, teilweise, unbefriedigten Leser zurück. Natürlich werden alle Fragen aufgeklärt, allerdings wird das Gefühl vermittelt, der Autor habe zum Schluss keine Lust mehr gehabt. Erste Anzeichen werden schon ab der Hälfte der Geschichte deutlich, denn als das eigentliche Ziel erreicht ist, nimmt die Spannung ab. Als Leser fragt man sich natürlich, warum so plötzlich und wie es jetzt weitergehen soll und wird mit einer Aneinanderreihung von kurzen Ereignissen zufriedengestellt. Vorerst. Denn das abrupte Ende ist keineswegs zufriedenstellend. Da fällt der Spannungsbogen genauso wie der Stern vom Himmel. Mit dem Unterschied, dass Gaiman ihn nicht mehr aufgefangen kann.
… and they all lived a happily ever after.
Insgesamt handelt es sich bei Stardust um ein Märchen der besonderen Art. Es vereint Poesie, Romantik, Märchenhaftigkeit und tiefgründige Themen. Schade ist jedoch die Tatsache, dass der Autor die Idee gegen Ende ein wenig verkommen lässt und so auch bezüglich der Hauptthemen, wie der Liebe, oberflächlich bleibt und der Roman ein wenig an Tiefgründigkeit einbüßt. Nichtsdestotrotz ist und bleibt der Roman ein kleines Juwel.
Stardust. Neil Gaiman. Fantasyroman. Harper Collins. USA. 1999.