Realistischer Eskapismus in 10 Songs
Review von tomeques Debütalbum "hallo welt_"
Wie eine Mischung aus Radiohead und Kraftwerk, aber doch ganz eigen: Der Hamburger Sänger tomeque präsentiert auf seinem Solo-Debüt „hallo welt_“ eine Bandbreite an Emotionen, Sounds und Ideen.
Von Yael Delkurt
Sphärische Klänge mit schwebenden Synth-Melodien, klassischer Reeperbahn-Rock, deutsche Texte und englisches Songwriting – das alles hat Singer-Songwriter tomeque auf seinem Debütalbum in Einklang gebracht. hallo welt_ heißt das Anfang November erschienene Opus des studierten Informatikers, der für seine erste Soloplatte alte Songideen überarbeitet und neu aufgenommen hat. Nicht nur die Texte und Melodien schrieb tomeque alle in Eigenregie, auch das Aufnehmen der Tracks nahm der Wahlhamburger selbst in die Hand. Der Klang, den tomeque zuhause in vertrauter Umgebung unter seinem eigenen Schreibtisch aufgenommen hat, präsentiert die musikalische Vielfalt seiner gesammelten Ideen und Erfahrungen. Der rockige Sound seiner Zeit als Mitglied verschiedener Indie-Pop-Bands ist durchzogen und ergänzt von immer neuen Ideen und zunehmend elektronischen Einflüssen, bis hin zu purem Synth-Pop.
Eröffnet wird hallo welt_ mit dem gleichnamigen Titelsong, einem träumerischen und schwebenden Stück. Der musikalische Klang gemeinsam mit dem Gefühl, das tomeque mit dem sich wiederholenden „Hallo?“ auf der Suche nach etwas ist, rufen Assoziationen zu Radiohead hervor, die für ähnlich melancholische und nachdenkliche Musik bekannt sind. Der eher dem „Alternative Rock“ zuzuordnenden Nummer folgt mit Immer nur Tanzen ein Song, der von Krisenbewältigung durch das Tanzen erzählt. Bunte Synths, ein treibender Beat und der lyrische Wunsch, den Realitäten des Alltags zu entkommen, erzeugen eine kurzweilige Euphorie, die sich für fünf Minuten der Wirklichkeit entziehen will. Das dazugehörige Musikvideo bildet ebenso einen Zwiespalt zwischen zwei Handlungsorten ab: Eine an Kraftwerk-Auftritte erinnernde Sequenz zeigt tomeque und drei weitere Musiker mit silbernen Jacken, Fingernägeln und Schutzbrillen in einem Raum an ihren Instrumenten performen. Dazwischen sind immer wieder Szenen vom Sänger und einem weiteren Mann, beide in Alltagskleidung, sie laufen und tanzen ausgelassen über den Strand. Am Ende des Videos scheinen beide Orte aufeinanderzutreffen, ohne jedoch wirklich zu einem zu werden.
Hommage an „das Tor zur Welt“
Mit Gute Nacht St. Pauli folgt ein Highlight des Albums. Der rockige Gitarrensound kontrastiert an dieser Stelle das bisher Gehörte durch eine angenehme Schlichtheit und stellt die lyrische Hommage an den Stadtteil in den Mittelpunkt. Für den gebürtigen Dresdener ist St. Pauli auf der einen Seite „das Tor der Welt“, gleichzeitig aber auch ein Dorf mit Heimatgefühl. Dieses Jahrzehnt an gelebten Großstadt- und Dorfleben ergeben einen dynamischen und leidenschaftlichen Song, der die vielschichtige Eröffnung des Albums vervollständigt.
Auch im mittleren Teil der Platte sind Melancholie, das Suchen nach Glück und das Hinterfragen persönlicher Beziehungen zentrale Motive. Auffällig sind diese in Morgen wieder und Voran. Wohin geht der Weg und was wird zurückgelassen? Immer wieder ergründet tomeque dieses Fragen musikalisch. Aufbruchsstimmung, aber auch eine Prise Weltschmerz sind stets dabei. Nochmal los ist in diesem Abschnitt eine kleine Zäsur als tanzbare Flucht. Die verschiedenen elektronischen Synth-Sounds und der Wunsch nach Loslassen machen den Track zu einer gelungenen Fortsetzung von Immer nur tanzen.
Schwermütig rockiger Abschluss
Der finale Teil des Albums beginnt mit einer ungewohnt fröhlichen Anmutung: Ey Friedo macht durch Akustikgitarre und simplere Melodiestrukturen nicht nur gute Stimmung, sondern schnell auch einen Ohrwurm, mit dem es sich gut leben lässt. In Versprochen morgen setzt tomeque sich erneut mit persönlichen Beziehungen und der Abhängigkeit von diesen auseinander, bevor mit Drei letzte Sekunden ein weiterer Höhepunkt das Album abschließt. Während die Platte mit sphärischen Synths in Hallo Welt startet, endet es mit Drei letzte Sekunden in dem akustisch rockigen Klang, der einen wichtigen Teil dieses Debutalbums ausmacht. Spürbar schwermütig wird von Liebe, Träumen, Freiheit, Schmerz und Angst gesungen und somit der Themenkern, der das ganze Werk begleitet, noch einmal abschließend besungen. Ein Cello begleitet den zweiten Teil des Stücks und verstärkt das Abschiedsgefühl mit angemessener Eindringlichkeit. Was in der Mitte des Albums vermutlich etwas zu wehmütig geklungen hätte, ist als Endstück gut platziert: „Eins, zwei, drei letzte Sekunden steh ich noch hier, bei dir“ heißt es da und lässt einem mit dem Gefühl zurück, das an dieser Stelle wirklich etwas vorbei ist, das über das bloße Lied an sich hinaus geht.
hallo welt_ bietet Einblicke in tomeques Sehnsüchte, Wünsche und Ängste. Die zehn Songs zeigen ein musikalisches Repertoire von Indie über Elektropop bis hin zu Rock und verbindet alle Elemente sinnvoll zu einem Ganzen. Während sich an einigen Stellen die wiederholenden Gemütszustände und getragenen Melodien häufen, bietet das Debütalbum zu Genüge kleine Ausreißer und Highlights. „hallo welt_“ ist für alle, die sich kurz wegträumen oder beim Tanzen alles um sicher herum vergessen wollen, eine absolute Hörempfehlung.
Künstler: tomeque
Album: hallo welt_
Veröffentlichung: 23. Oktober 2020
Label: Pop///Tronica
Genre: Synth-Pop/Dance
Bilder: tomeque / Andreas Muhme