Türken – Die Opfer in Deutschland?

Diskussionsabend der Türkischen Studentengemeinschaft

Mit diesem provokanten Titel lud die Türkische Studentengemeinschaft Bremen (TSB) am 19. April zur offenen Diskussion im Studierhaus ein. Themen wie Identifikation, Zusammenhalt und Politik standen auf dem Plan, die Lösungsansätze blieben vage.

Von Florian Fabozzi

Als Anlass zu dieser populistischen Fragestellung gelten die jüngsten Attentate auf türkische und islamische Einrichtungen in Deutschland. Seit Anfang des Jahres gab es deutschlandweit etwa 40 Anschläge auf Moscheen und Kulturvereine. Nicht selten handelte es sich dabei um Brandanschläge. Auch Bremen bleibt davon nicht verschont: Hier wurde die Fatih-Moschee im März zwei Mal mit islamfeindlichen Parolen besprüht.

Trotz der Brisanz der Thematik und des Titels ist der Raum mit 20 Personen, größtenteils Mitglieder der TSB, nur spärlich gefüllt, was die Veranstalter auf das gute Wetter zurückführen.

Die Diskussion beginnt schleppend. Auf die Frage, ob die Angriffe auf Türken als Reaktion auf mangelnde Identifikation der Deutsch-Türken mit Deutschland zu verstehen ist, will keiner so recht eingehen. Erst als Moderator Orkun Akçay die Rolle der Medien und Politik ins Spiel bringt, erwacht die Diskussion aus seinem Dornröschenschlaf.

Medien erzeugen Feindbild

In der Runde herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die deutschen Massenmedien „den Türken“ zum Feindbild erkoren haben. Oftmals seien sie Opfer von Pauschalisierungen und negativen Deutungen durch die Medien. So sei bei Morden im Zusammenhang mit Türken und Moslems oft von sogenannten Ehrenmorden die Rede, unabhängig von den tatsächlichen Motiven. Dazu kommt bei vielen Straftaten ein grundsätzlicher, nicht fundierter Anfangsverdacht gegenüber Türken.

Die Konsequenzen dieser tendenziösen Berichterstattung liegen auf der Hand: Radikale oder potentielle Radikale „fressen den Medien aus der Hand“ und lassen sich zu Gewalttaten anstacheln. Im Alltag, so erzählen anwesende Deutsch-Türken, macht sich der Einfluss der Medien auf Bürger bemerkbar, etwa wenn deutsche Kollegen Gespräche mit unangebrachten Fragen wie „Unterstützt du Erdogan?“ beginnen.

Oftmals fühlen sich Türk*innen als Opfer von Pauschalisierungen durch Medien

Dass die Politik eine wichtig Verantwortung für die Verständigung innerhalb der eigenen Bevölkerung besitzt, ist kein Geheimnis. Die Anwesenden der TSB vermissen jedoch klare Statements der Regierung zu Anschlägen auf türkische Einrichtungen oder zu Gewaltaufrufen, die vermehrt im Netz kursieren.

Stehen Türken stellvertretend für den ganzen Islam?

Die Opferrolle ist also nicht aus der Luft gegriffen. Einige der Diskussionsteilnehmer bemühen gar die Formulierung “Menschen zweiter Klasse”. Doch bezieht sich die Opferrolle explizit auf Türken oder nicht viel mehr auf den Islam an sich? Auf diese Frage vermag niemand eine klare Antwort zu geben. Ein Teilnehmer legt die Vermutung nahe, die Medien und die Rechtspopulisten würden da keinen Unterschied machen. Türken stehen demnach sinnbildlich für alle Moslems in Deutschland.

Die Attentäter nehmen häufig den Islam als Religionsgemeinschaft ins Kreuzfeuer, trotzdem werden vermehrt türkische Einrichtungen, im speziellen Kulturvereine, zu Zielscheiben der Täter. Ein Aspekt, der in der Runde unerwähnt blieb, ist die Rolle der Kurden als potentielle Täter. Der türkisch-kurdische Konflikt bekam durch die Offensive der türkischen Armeen gegen Kurdenmilizen in Nordsyrien erst kürzlich neuen Zündstoff. Nichtsdestotrotz beweisen Statistiken, dass die meisten Anschläge rechtsradikal und islamophob motiviert sind.

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

Im Fortlauf des Abends wird die türkische Politik Gegenstand der Diskussion. Es geht konkret um die Frage, ob die türkische Politik die hier lebenden Türk*innen aktiv in den eigenen Wahlkampf einbinden dürfe, etwa durch Kampagnen. Ein Thema, das hierzulande kontrovers debattiert wurde und über das auch in der Runde keine Einigkeit herrscht.

Viele TSB-Teilnehmer*innen äußern Unverständnis darüber, warum man Deutsch-Türk*innen mit türkischem Pass die Mitbestimmung an der türkischen Politik verwehren sollte. Schließlich wollen sich die hier lebenden Türk*innen von der türkischen Politik vertreten fühlen. Voraussetzung sei dabei eine ausgewogene politische Kampagne, an der sich mehrere Parteien beteiligen.

Die Fürsprecher der Involvierung von deutsch-türkischen Bürgern in den türkischen Wahlkampf bekommen rasch Gegenwind. Den Deutsch-Türk*innen mangele es an Informationen über das politische Geschehen vor Ort. Außerdem seien die hier gebürtigen Türk*innen anders sozialisiert und gebildet – eine Hineinversetzung in die Lebenswelt der einheimischen Türk*innen sei somit nicht möglich.

Die hier lebenden Türk*innen wollen sich von türkischer Politik vertreten fühlen.

Schritte aus der Opferrolle

Was am Ende des Tages bleibt, ist die Frage nach Lösungsansätzen. Was können türkischstämmige Studierende tun, um die Situation zu verbessern? Genaue Pläne konnten in der kurzen Zeit natürlich nicht entworfen werden und ohnehin ist die Macht der Studierenden gegenüber Apparaten wie den Medien und der Politik begrenzt. Jedem der Anwesenden ist klar, dass erst innerhalb der Türkischen Community hierzulande Einigkeit und Geschlossenheit herrschen müsse. Zu tief sei in der Community der Spalt zwischen Anhängern verschiedener politischer Gruppen. Selbstdefinition durch Gruppenzugehörigkeit führt unweigerlich zum Ausschluss anderer.

Unter den knapp 23.000 Studierenden an der Uni Bremen dürfte ein beträchtlicher Anteil türkischstämmig sein, nur fehlt es bislang an der Vernetzung. Gerade Studierende seien in der Position die Stimme zu erheben und die Kommunikation zwischen Deutsch-Türken und einheimischen Deutschen zu verbessern. Eine Idee, die genannt wird, besteht darin, größer angelegte Veranstaltungen zu dem Thema zu organisieren, in denen die breite Masse für die schwierige Rolle der türkischstämmigen Bürger*innen sensibilisiert wird. Aufgeschlossenheit und Toleranz müsse signalisiert werden, um Misstrauen aus dem Weg zu schaffen. Am Ende des Diskussionsabends sind das zumindest greifbare Ideen, an die man anknüpfen kann. Wie so oft liegt der schwierige Teil in der praktischen Umsetzung.

Sind die Türken nun also „die“ Opfer in Deutschland? Nein, das wäre viel zu einfach. Wer sich als Türke damit zufrieden gibt, verliert sich in Selbstmitleid. Aber die Opferrolle ist kein Konstrukt, sondern eine Rolle, in die sie drohen, hineinzurutschen. Integration, oder einfach das Gefühl akzeptiert zu werden, ist ein zweiseitiger Prozess, der nur über den gemeinsamen Dialog gefördert werden kann.

 

Titelbild: TSB

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