Von Geschlechterbildern und großen Vorbildern
Als Schlagzeuger der Ärzte zählt Bela B. Felsenheimer zu den berühmtesten deutschen Musikern. Darüber hinaus ist er bekennender Cineast und Comic-Liebhaber mit einer Schwäche für dreckige Italowestern. Das Hörspiel „Sartana – noch warm und schon Sand drauf“ verbindet diese Leidenschaften. Gemeinsam mit den Synchronsprechern Stefan Kaminski und Oliver Rohrbeck sowie Sängerin Peta Devlin und der Band Smokestack Lightnin’ war Bela B. am 28.03.2017 in der Bremer Music Hall zu Gast – und der ScheinWerfer durfte live dabei sein.
Von Annette Bögelsack
Schon vor dem eigentlichen Beginn ertönt Westernmusik aus den Lautsprechern. Bereits die drei Soloalben des Ärzte-Drummers Bela B. machen seine Liebe zu diesem Genre deutlich. Stücke wie „Der Vampir mit dem Colt“ unterstreichen seine Affinität zu Cowboys ebenso wie zu Horrorfiguren. Schnell wird deutlich, was ihn an seinem neuen Projekt reizt: Als „Punk unter den Filmgenres“ beschreibt Bela das fast vergessene Kulturgut des Spaghettiwesterns, welches er mit seiner Performance aufleben lassen möchte. Dabei ist er sich sicher: „Der Italowestern darf alles.“ Die Mischung aus Konzert und Hörspiel könne sich sogar mit Shakespeare vergleichen: „Wer bläst wem einen – das ist hier die Frage.“
Wer Bela B kennt der weiß, dass derlei Zoten keinesfalls ungewöhnlich für den Musiker sind. Auch seine Liebe zur Bühne und die Neigung zur Publikumsanimation zeigt Herr Felsenheimer von Beginn der Veranstaltung an. Auch im Theater können Zuschauer zum Mitklatschen animiert werden – immerhin erwarte sie ein mindestens „4 ½-stündiges“ Konzerterlebnis. Mit seinen Ansagen und spontanen Gag-Einlagen sorgt Bela B. tatsächlich für Konzertfeeling. Typisch für seine Ansagen ist auch das Spiel mit dem Publikum. Gleich zu Beginn muss er feststellen, dass Bremen wohl der Spielort mit dem geringsten Niveau sein müsse – bisher habe es noch bei keinem Tourstopp Applaus für den Kalauer „Ostern ist das Gegenteil von Western“ gegeben. Als ein Zuschauer von seinem Toilettengang zurückkommt, integriert Bela diesen Fakt gekonnt in die Show. Der ein oder andere mag sich an einen ähnlichen Gag während der Lesetour zu „Männer haben kein Gehirn“ erinnern, die er Anfang des Jahrtausends mit seinen Bandkollegen Farin Urlaub und Rodrigo Gonzales bestritten hat.
Kaminski und Rohrbeck – Die (nicht ganz so) heimlichen Stars
Bela B. zeigt sich als Meister der Improvisation. Doch bereits zu Beginn der Veranstaltung wird deutlich, dass die Sympathien nicht gleichmäßig verteilt sind: Während die Jungs von Smokestak Lighnin‘, Peta Devlin und – überraschend – auch Bela B. kaum mehr als einen Höflichkeitsapplaus erhalten, werden die Synchronsprecher Stefan Kaminsiki und Oliver Rohrbeck schon deutlich enthusiastischer begrüßt. Den überschwänglichen Empfang haben sich die beiden jedoch mehr als verdient. Nicht selten tragen sie mit ihren grandiosen Darbietungen beinahe alleine die Show. Auch die restlichen Darsteller sind sehenswert und gehen – mal mehr, mal weniger – in ihren Rollen auf. Doch sind es Rohrbeck und Kaminski, die mit ihren abwechslungsreichen, teils überdrehten, teils stereotypen Performances dem Wilden Westen Leben einhauchen. Beide schlüpfen in die verschiedensten Rollen mit unterschiedlicher Stimmlage, Betonung und Akzentuierung. Kaminski ist grandios in der Rolle der Hotelbesitzerin Julie, mit der er sich als Hilfssheriff Blackie einige Male im eigenen Zwiegespräch befindet.
Die Musiker von Smokestack Lightnin‘ hingegen scheinen mit den wenigen Songs und ihren sporadischen Sprechrollen nicht ausgelastet und wirken teilweise geradezu gelangweilt. „Sartana – Noch warm und schon Sand drauf“ hat einige Längen und kommt auf gute zwei dreiviertel Stunden Spielzeit. Allerdings: Derartige Spielzeiten sind dem geneigten Ärzte-Fan natürlich bekannt. Nicht jeder Gag zündet und so manches Mal scheinen die Darsteller auf eine Publikumsreaktion zu warten, die einfach nicht einsetzen möchte. Obwohl das Publikum viel lacht, wirkt der Applaus an einigen Stellen erzwungen. Als nach der ersten Verbeugungswelle noch ein Zusatzsong gespielt wird – überzeugend gesungen von Peta Devlin und Bela B. – hat ein nicht geringer Teil des Publikums bereits den Saal verlassen. Mögliche Irritationen überspielen die Darsteller jedoch gekonnt. An anderer Stelle werden selbst die albernsten Witze zu gekonnten Pointen, die die Lachmuskeln der Zuschauer attackieren. Überraschend lange funktioniert ein Gag, der aus einer hallenden Echo-Unterhaltung in einer Höhle besteht. Besonders gelungen ist außerdem die Metaebene, während derer das Stück und seine Implikationen diskutiert werden. Durchbrechen der vierten Wand führt zu den lustigsten Dialogen und die allgegenwärtige Selbstironie ergänzt die technisch gekonnte Inszenierung.
Eine abendfüllende Reminiszenz
Dabei ist „Sartana – Noch warm und schon Sand drauf“ vor allem eines: ungehemmt rassistisch und sexistisch. Dies manifestiert sich besonders in der von Bela B. gesprochenen titelgebenden Hauptfigur. Der angebliche Versuch, eine starke Frauenrolle als Gegenmodell zu etablieren, will nicht richtig gelingen. Zwar singt Peta Devlin gegen Ende ein pathetisches Lied über Männer als schwaches Geschlecht und Frauen, die in Wirklichkeit die besseren Männer seien. Doch kann eine Aussage wie „Eine Frau, die ihren Mann steht“ wirklich als Überwinden der engen Geschlechterrollen gelten? Allerhöchstens vor dem Hintergrund des stark männergeprägten Western-Genres. Dass Herr Felsenheimer seiner Mitspielerin Peta Devlin brav den Stuhl zu Recht schiebt, ist vielleicht als Geste eines Gentlemans gemeint, stellt jedoch letztendlich die Autorität der in wallende Gewänder gekleideten einzigen Frau auf der Bühne in Frage. Gegen den Macho Sartana kann sich die von ihr gespielte Jasmine Benson – eine der beiden einzigen Frauenfiguren im Stück – jedenfalls nicht durchsetzen.
Der Clou besteht selbstverständlich darin, „Sartana“ nicht allzu ernst zu nehmen. Das Hörspiel strotzt nur so vor Sticheleinen und Eigenironie. Letztendlich handelt es sich weniger um eine vielschichtige Gesellschaftskritik – weder unserer heutigen Zeit, noch der Welt der Cowboys und Bardamen – als vielmehr um die Reminiszenz an ein beinahe vergessenes Genre sowie den Synchronsprecher Rainer Brandt, dem wir die deutschen Übersetzungen der originalen Sartana-Filme zu verdanken haben. Mit seiner rauchigen Stimme führt er das Bremer Publikum durch den Abend. Bela B. verneigt sich vor einem seiner großen Idole und hat sichtlich Spaß dabei. Auf der Bühne fühlt er sich noch immer wohl und auch seine Stimme vermag nach wie vor zu überzeugen. War ich in jüngeren Jahren großes Bela B.-Fangirl, so interessiert mich heute noch mehr die künstlerische Seite seines Schaffens. „Sartana – Noch warm und schon Sand drauf“ verbindet beides und befriedigt das Fan-Herz, auch wenn es keine völlig runde Sache zu werden vermag.
Titelbild: Hanna Fokken
Mehr zum Hörspiel sowie kostenfreie Downloads der normalen und Extended Version findet ihr hier.