„Wenn jemand den Schritt zu uns geschafft hat, ist das schon die halbe Miete“
Interview mit Swantje Wrobel, der Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle
Seit 1974 gibt es an der Universität Bremen die Psychologische Beratungsstelle. An diese können sich Studierende, aber auch Dozierende, kostenfrei wenden, wenn sie ein Problem haben. Im Interview mit dem ScheinWerfer erzählt uns die Leiterin Swantje Wrobel, mit was für Problemen die Studierenden zu ihr kommen und wie die PBS weiterhelfen kann.
ScheinWerfer: Vielleicht erstmal zum Einstieg: Mit was für Problemen kommen die Studierenden zu Ihnen?
Swantje Wrobel: Der häufigste Anmeldegrund, den die Studierenden angeben, sind Stresssymptome, also Erschöpfung, Motivationsverluste, Schlafschwierigkeiten und das, was wir eine depressive Verstimmung nennen. Daneben gibt es typisch studienspezifische Schwierigkeiten, wie Prüfungsängste, Leistungsängste oder Arbeitsschwierigkeiten. Wenn mehrere solcher Dinge zusammenkommen und es dann sofort losgeht mit Leistungsanforderungen und Prüfungen, dann kann das einem das Leben schon ziemlich schwer machen. Nicht selten führt das dann sogar zum Studienabbruch nach ein bis zwei Semestern. Studienspezifische Beeinträchtigungen sind also ein großes Thema, aber eigentlich kommen Studierende mit allem, was so möglich ist. Das geht von Heimweh, was noch ein vergleichsweise „geringes“ Problem ist, bis hin zu akuten Psychosen, also bis zu den schwierigsten psychiatrischen Erkrankungen.
Wenn ich jetzt ein Problem habe, wie kann ich dann mit der Beratungsstelle in Kontakt treten?
In der Regel ist es so, dass die Betreffenden zu uns kommen, dass sie uns entweder persönlich aufsuchen oder dass sie uns anrufen oder eine Mail schreiben. Darin steht dann so etwas wie: „Ich hätte gerne mal eine Beratung, wie sieht das denn aus?“. Wir hören uns dann kurz an, worum es geht, um einzuschätzen, wie dringend das Problem ist. Da wird dann geschaut, ob jemand schon auf der Brücke steht und sich runter stürzen will, dann wären wir nicht die richtige Anlaufstelle, aber wir würden sagen „Das wäre jetzt wichtig dass du kommst und dass wir jetzt gucken, dass wir gemeinsam zum psychiatrischen Dienst gehen“. Aber der Normalfall ist, dass sich jemand einen Termin holt.
Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, erst einmal anonym über die Online-Beratung mit uns Kontakt aufzunehmen. Das ist ein Weg, der ab und zu mal von Studierenden gewählt wird, die ein bisschen Berührungsängste haben. Denn trotz alledem ist es immer ein schwieriger Schritt, sich irgendwo Hilfe zu suchen.
Wie viel Zeit muss ich dann von der Kontaktaufnahme bis zum ersten Termin einrechnen?
Üblicherweise haben wir eine Wartezeit von nicht länger als drei Wochen, da habe ich immer drauf geachtet. Im Moment sieht das allerdings ganz schlecht aus, da haben wir eine Wartezeit von acht Wochen. Wir haben natürlich auch Krisentermine, wir gucken also auch immer, dass wir kurzfristig noch Termine anbieten können, aber der Normalfall ist im Moment leider viel zu lang als Wartezeit. Aber eigentlich ist es so, wenn wir personell gut besetzt sind und niemand krank oder im Urlaub ist, dass dann die Wartezeit nicht länger als drei Wochen ist.
Wir wollen, dass die Ratsuchenden sich ernst genommen fühlen
Wenn ich es jetzt geschafft habe, einen Termin zu bekommen, wie sieht denn die erste Sitzung aus?
Wir nehmen uns ein bisschen Zeit, also ungefähr eine gute Stunde und setzen uns mit dem oder der Ratsuchenden zusammen. Dabei fragen wir erst einmal nach dem gesamten Lebensumfeld, damit wir uns ein Bild machen können, wieso diese Schwierigkeit jetzt im Moment da ist und welche Ressourcen es gibt, sowohl auf der Seite der Ratsuchenden, als auch auf unserer Seite, dass diese leichter wird oder dass sich das Problem auflöst. Es geht vor allem darum, ein Vertrauensverhältnis herzustellen, wir wollen, dass die Ratsuchenden sich akzeptiert und ernst genommen fühlen. Dafür versuchen wir uns Zeit zu nehmen, damit nicht das Gefühl entsteht, dass man einfach nur so durchgeschleust wird, wie das manchmal bei Ärzten der Fall ist. Wenn wir dann nach ein oder zwei Kontakten zu einem guten Bild gekommen sind, worum es gehen könnte und woran wir arbeiten können, dann schauen wir, was für Hilfen sinnvoll sein könnten.
Wie helfen Sie den Studierenden dann weiter?
Wir bieten Hilfestellungen in Form von Gesprächen, Gruppensitzungen oder Workshops an. Vielleicht einmal ein konkretes Beispiel: Jemand, der ständig vermeidet, sein Studium zu machen, also der immer aufschiebt, der Fachbegriff ist Prokrastination, dem würden wir dann beispielsweise unser Arbeitsstrukturierungsmodell anbieten. Da geht es darum, Motivation zu entwickeln, konkrete Arbeitsziele zu benennen und sich Stundenpläne zu machen, die dann auch möglichst eingehalten werden sollen. So jemand könnte dann zum Beispiel auch bei uns in die Arbeitsstrukturierungsgruppe gehen. Da treffen sich andere Betroffene einmal die Woche unter Anleitung und dort wird dann geguckt: Was hast du dir vorgenommen, wie hast du es umgesetzt, hat das geklappt, was willst du beibehalten, was willst du ändern? Das geht dann über zwei Semester und in der Regel ist es so, dass sich die Arbeitsstörung dann aufgelöst hat und dann Arbeiten geschafft werden. Das ist also ein ganz konkretes und pragmatisches Vorgehen. Zu manchen Themen, wie zum Beispiel zum Thema „Prüfungsangst“ oder „Redeangst“ bieten wir auch Workshops an. Da wird dann an zwei Tagen gearbeitet und dabei wird geguckt, wie das Problem aussieht und was dagegen getan werden kann. Dabei werden gemeinsam Strategien gegen ebendieses Problem entwickelt. Die häufigste Form ist aber tatsächlich das Einzelgespräch, dort versuchen wir dann herauszufinden womit die Schwierigkeiten zu tun haben könnten, und was man tun kann, dass sich das ändert, aber das muss sich dann entwickeln.
Gibt es auch Fälle wo das PBS nicht weiterhelfen kann und die Studierenden weitervermittelt werden?
In der Tat ist es so, dass wir etwa ein Drittel aller Anfragenden weitervermitteln, wenn das Problem zum Beispiel über unsere personellen Kapazitäten hinaus geht, also jemand längerfristige Betreuung, in Form von Psychotherapie braucht. Wir versuchen da gemeinsam zu gucken, wie wir sie oder ihn dabei unterstützen können dass er oder sie auch das richtige Hilfsangebot findet und das ist dann nicht immer zwangsläufig bei uns.
Wird dann auch mit bestimmten Stellen zusammengearbeitet?
Ja, das ist ganz wichtig für unsere Arbeit. Wir investieren viel Zeit in ein gutes Netzwerk, das heißt wir haben eigentlich guten Kontakt zu allen Bremer Kliniken, und auch den in Bremen niedergelassenen Psychotherapeuten und Fachärzten. Wir versuchen dann auch die Angst vor der Weitervermittlung zu nehmen und da ist es gut, wenn man dann einen guten Kontakt hat und persönliche Informationen geben kann.
Mit was für Erwartungen kommen die Studierenden zu Ihnen?
Die Erwartung ist glaube ich fast immer, dass wir mit dem Finger schnippen und dann ist das Problem weg. Das ist aber, denke ich, bei uns allen so. Ich finde es immer sehr wichtig, wenn jemand den Schritt zu uns geschafft hat, das ist schon die halbe Miete. Denn das heißt, ich kriege es nicht alleine hin, da muss jemand mal von Außen drauf gucken. Das kennen Sie ja vielleicht auch, wenn Sie irgendwie grübeln und nicht weiter wissen, fragen Sie vielleicht erst mal Ihre Freunde, Ihre Bekannte oder Familie und das ist auch so etwas, wie eine Außensicht einzuholen. Der Unterschied bei uns ist, dass wir Profis sind und von daher vielleicht ein paar andere Tipps und Tricks auf Lager haben. Das heißt natürlich zerstören wir diese Illusion, dass sich das Problem in Luft auflöst, so ein bisschen. Auf der anderen Seite stärken wir aber auch die Selbstheilungskräfte oder die Ressourcen, das ist meiner Meinung nach wichtig.
Was für Feedback bekommen Sie von den Studierenden?
Wir machen immer wieder im Abstand von ein paar Jahren Zufriedenheitsbefragungen mit den Studierenden, die letzte war vor zwei Jahren. Die Rückmeldung war überwältigend. Fast 100% wünschen sich, dass alles so bleibt, wie es ist. Der einzige große Kritikpunkt war das Personal. Viele wünschen sich ein bisschen mehr Personal, also dass mehr Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt können wir mit den Rückmeldungen sehr zufrieden sein, weil die Studierenden sagen, dass es wichtig ist, dass es so eine Stelle vor Ort gibt, zu der man einfach und kostenlos hingehen kann, wo die Schwelle niedrig ist und die Leute kompetent.
Ich wünsche mir, dass die Studierenden sich trauen auch mal zu sagen „Könnt ihr mir helfen?“
Zum Abschluss: Gibt es ein paar allgemeine Tipps, die Sie den Studierenden mit auf den Weg geben können?
Ja, das kann ich. Ich glaube, dass der Sprung von der Schule ins Studium immer wieder unterschätzt wird. Das ist tatsächlich ein ganz deutlicher Wechsel in den Lernbedingungen, und ich wünsche mir, dass Studierende sich das mit offenen Augen angucken und in dem Moment, in dem sie merken, dass es schwierig wird, Laut geben. Dass sie nicht alles mit sich selber abmachen, oder sagen „Ja ich muss das irgendwie alleine hinkriegen“, sondern eher gucken, wie geht es den anderen, dass sie sich möglichst früh vernetzen. Und auch, dass sie vielleicht schon vorher gucken, ist das Studium überhaupt die richtige Form für mich. Eigentlich wünsche ich mir, dass das in der Schule schon los geht, aber das kann ich nicht von den Schülern verlangen. Aber das wäre so eine Schnittstelle, die müsste irgendwie noch besser bearbeitet werden. Ich wünsche mir einfach, dass die Studierenden offen bleiben für sich, dass sie sich trauen auch mal zu sagen „Das kann ich irgendwie nicht, wie macht ihr das?“ oder „Könnt ihr mir helfen?“ und sich möglichst nicht verkriechen.
Das Interview führten Elina Fläschner und Vanessa Paul