Das Comeback der 80s
Musikgenres im Schatten des Mainstreams – Teil 4: Synth-Wave
Nebelschwaden, Neon-Lichter, grobkörnige Bilder in denen eine surreal anmutende Handlung vor dem Betrachter vorüberzieht. Auf dem Bildschirm lebende menschlich wirkende Maschinen, schwarz-maskierte Killer, die schönen Frauen nach dem Leben trachten: Und unter all dem der dumpfe und treibende Sound aus einer scheinbar anderen Welt, einer Welt, in der die Synthesizer die Vorherrschaft zu haben scheinen. Man weiß sofort: Ich habe einen Film aus den 80s eingelegt.
Von Max Stascheit
Der Film mag nicht sonderlich gut sein, doch die Musik ist es, sie weckt in unseren Köpfen ein Bewusstsein eines anderen Jahrzehnts, in dem wir entweder noch nicht gelebt, oder viel zu klein waren, um uns an diesen Sound zu erinnern. Und dennoch: Wenn man einen Track hört, macht es im Zuhörer merklich Klick, er ist wieder in einer Welt, in der Schlaghosen und Schulterpolster, absurde Frisuren und Videotheken zum Alltag gehörten. Im aktuellen Zeitalter der Schnelllebigkeit, in der alles modern und aktuell sein muss, bemerkt man derzeit rasant die Zunahme der Retro-Welle, vor allem die der Achtzigerjahre. Stranger Things auf Netflix, Synth-Pop-Verschnitte im Radio und auch modisch krempelt man seine Hosenaufschläge wieder höher. Über die Retro-Mania wurde in den letzten Monaten vermehrt geschrieben, man stellt fest: Die Achtziger, die wir meist nur aus Erzählungen unserer Eltern kennen, kehren zurück und die jetzt lebende Generation scheint aufholen zu wollen, was sie damals verpasst hat. Die Musikrichtung Synth-Wave und all ihre genretypischen Ableger haben in den letzten Jahren wie keine andere Musikrichtung ihren Weg vom stillen Geheimtipp aus der Undergroundszene hoch in die Öffentlichkeit gefunden.
Es wird eine Welt mit Tracks erschaffen, bei dessen Anhören etwas im Kopf des Hörers passiert.
Spätestens in diesem Jahr hat eine Band den Einzug in die Billboards der Welt geschafft: Gunship. Verbindungen und Einflüsse aus den 80s und anscheinende Zeitlosigkeit sind überwiegende Hauptmerkmale des nun beliebten Genre-Hybriden. Sci-Fi, Horror, Action-Klopper und vor allem Videogames aus der „goldenen“ Zeit bestachen durch ihre scheinbar als schnell heruntergeleiert verschrienen 8-Bit Sounds, welche nun heute, vor allem dank der 80s-Wiederauferstehung in Fankreisen und darüber hinaus, kultisch verehrt werden. Spätestens mit dem Film Drive (2011) von Nicolas Winding-Refn, in dem sich Ryan Gosling mit seinem Chevrolet auf eine Reise durch die Nacht begibt, ist die vormals im Underground versteckte Musikrichtung des Synth-Wave in aller Munde: Kavinskys Nightcall läuft nun bei fast jeder Electro-Party. Aus dem Unbekannten treten gefragte Künstler hervor, welche vormals noch vollkommen selbstständig ihre Platten vertrieben: Allen voran Carpenter Brut, namentlich angelehnt an John Carpenter, dem Synthesizer-Virtuosen mit seinem Output von unzähligen Retro-Soundtracks (Halloween oder Das Ding aus einer anderen Welt). Ein Gefühl wird erzeugt, eine Welt mit ihren Tracks erschaffen, welche ohne Vocals auskommen und bei dessen Anhören etwas im Kopf des Hörers passiert.
Wie sollte Musik klingen, wenn man eine abschüssige Straße rückwärts in seinem Sportwagen fährt und von Gangstern verfolgt wird, mit Neonlichtern im Hintergrund, klischee-isierten Feuerwaffen in den Händen, das Adrenalin spürbar durch die Venen pumpend? Sicher, solche Szenerien malt man sich aus, wenn man das Genre kennt. Und doch wollen die Menschen mehr von alter Musik, alten Idealen, alten Dingen, die man nur aus Geschichten kennt und doch irgendwie miterleben wollte, sei es aus verklärt-nostalgischen Gründen oder aus einer Mode-Laune heraus. Unzählige Synth-Wave Künstler betreten aktuell das Spielfeld des Retro-Booms. Alle zu nennen wäre vielleicht lobenswert, doch die besten haben sich längst herauskristallisiert: Perturbator, Dance with the Dead und die vorher genannten Gunship.
Manche behaupten, Synth-Wave sei mehr 80s als die wirklichen Achtziger es waren
Synth-Wave ist Subkultur und auch das eventuelle Ausbrechen aus dem modernen und für viele schnell ermüdenden Electro-Sumpf. Und es ist vor allem die Weiterentwicklung von vielen Einflüssen aus der Zeit, in der Depeche Mode und Erasure noch in den Clubs rauf und runter liefen. Wenn man genau hinhört, erkennt man vielerlei Hommage an die Pioniere von damals, auch wenn die Tracks aus dem Jahr 2018 sind. Manche mögen behaupten, Synth-Wave sei mehr 80s als die wirklichen Achtziger es waren. Instrumente und Sounds werden verwendet, um das musikalische Feeling aus den 80s nach heutigen Standards zu formen.
Doch ist es nicht das, was man mit Musik erreichen kann? Man kann aufholen, was man damals scheinbar verpasst hat, nur gebündelter und nun umso hörbarer im Gesamten. In Synth-Wave steckt Herzblut, eine Liebe zu einem bestimmten Jahrzehnt, das in den Augen der Künstler nicht in Vergessenheit geraten soll. Vielleicht ist es das, was das Genre vom oftmals als Einheitsbrei titulierten Electro abgrenzt?