Der Verehrer

Teil 2

Eine zweiteilige Kurzgeschichte von Horror-Autor Max Stascheit

Hier geht es zum ersten Teil

Die gläserne Front des GW2 wirkte wie ein durchsichtiges Maul, das Mark zu verschlingen drohte. Sich umschauend, trat er auf die große Doppeltür auf der Boulevardseite zu und erwartete, dass diese verschlossen war, doch zu seiner Verwunderung ließ sie sich, nach ein wenig Nachdruck, tatsächlich öffnen.
Welcher Mensch ließ seine Freundin um diese Uhrzeit in der Uni schuften?, fragte er sich innerlich gereizt. Wenn er daran dachte, dass sie beide bei ihm gemütlich Fernsehen oder sowas machen konnten, keimte die Wut noch mehr auf.
Die Vorhalle des GW2 roch nach Putzmittel und abgestandener Luft, ein Windhauch drückte die schweren Tür hinter ihm sofort in den Rahmen.
Es war dunkel, beinahe schneidbar finster um ihn herum. Die Taschenlampen-App eingeschaltet, suchte er vergeblich nach Wegweisern.
Wenn er sich richtig erinnerte, arbeitete Aileen im dritten Stock. Oder war es der zweite? Ihren Namen wollte er noch nicht rufen, vielleicht hatte sie einfach die Zeit vergessen oder war noch aufgehalten worden.
Immerhin war die Tür nicht verschlossen und das bedeutete, es waren auch andere Leute in der Uni, Hausmeister oder vielleicht auch der Professor, der seine arme Aileen um den wohlverdienten Feierabend brachte.
Mark wählte wieder ihre Nummer, doch nichts geschah, kein Ruf-Ton kam aus dem kleinen Gerät, es blieb auch in der Vorhalle still. In ihm keimte leises Unbehagen, so war seine Freundin sonst nicht, sie war immer zu erreichen und vor allem über WhatsApp war es kein Problem mit ihr in Kontakt zu treten.
Etwas polterte leise im Treppenaufgang. Mark ließ das Display verdunkeln und richtete die Rückseite des Telefons an die Wände, irgendwo musste doch ein Lichtschalter sein.
Rasch hatte er einen Schalter entdeckt, lief darauf zu und betätigte ihn, doch die Halle blieb stockdunkel. Jetzt kroch eine leichte Gänsehaut seine Wirbelsäule hinauf und eine böse Vorahnung klammerte sich in sein Genick. Was, wenn Aileen irgendwo hockte und ihn erschrecken wollte? Das machte sie ab und zu und sie wusste, wie schreckhaft er war. Schon bei dem kleinsten Geräusch in einem Horrorfilm zuckte er zusammen und seine Freundin übernahm den Part, der einer ängstlichen Person im Kino die Schulter hielt. Unmännlich zwar, aber so war er nun mal, dachte Mark und leuchtete zu den Treppenaufgängen. Er wollte nach oben, zumindest dort konnte er nach ihr rufen.
Vorsichtig ging er nach vorn und leuchtete die Konturen von Säulen ab, streifte mit der Lampe ein Plakat über das Campuskino, überflog einen daran hängenden Flyer für die neue Ausgabe des Unimagazins, dann hatte er den ersten Fuß auf die hallenden Stufen gesetzt und drückte sich nach vorn.
Die Treppe und der Aufgang war leer, nichts war zu hören und er fragte sich, ob nicht einfach jemand vergessen hatte das Gebäude abzuschließen.
Wenn er doch nur nicht immer so gutmütig angeboten hätte, sie zu jeder Zeit abzuholen, murmelte Mark vor sich hin und wusste, er konnte Aileen keinen Wunsch abschlagen, dafür liebte er sie zu sehr.
„Aileen?“ platzte es aus ihm heraus. „Bist du hier?“ Seine Stimme hallte von den kahlen und weißen Wänden wider, doch sonst vernahm er nichts. „Verdammt.“ keuchte er leise und nahm die restlichen Stufen ins zweite Stockwerk. Dort angekommen, schaute er dem Strahl der Taschenlampen-App hinterher und versuchte etwas in der Dunkelheit auszumachen, einen Wegweiser, denn die Gänge waren echte Labyrinthe, meinte Aileen öfter zu ihm.

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Etwas neben ihm klapperte, erst ganz leise, dann mit einem Mal, polterte etwas auf den Gang. Ruckartig verriss Mark das Smartphone, blickte keuchend in die Dunkelheit und hob es dann wieder an.
Etwas, jemand, lag auf dem Gang. Zitternd versuchte er den Strahl gerade zu halten, wollte erkennen, wer den Lärm verursacht hatte, doch es gelang ihm nur schwerlich. Er hörte Atmen, ein leises Fluchen, die Stimme war tief. Dann richtete sich die Person auf und blickte in seinen Lichtstrahl, schirmte das Gesicht mit der Hand ab und stellte eine Frage.
„Fuck, wie spät ist es?“ vernahm er die Stimme eines Mannes, hörbar nicht sehr alt und müde klingend.
Er verstand die Frage nicht. Wer würde um diese Zeit hier im Dunkeln nach der Uhrzeit fragen?
„Bin wohl eingeschlafen, verdammte Bücher…“ So ganz verstand er nicht, was der junge Mann vor sich hinplapperte, doch es nahm stetig an Konturen zu, ergab am Ende einen Sinn: Der junge Mann war sicher Student und über seinen Unterlagen eingeschlafen. Der Strahl der Taschenlampe erhellte einen Schiebewagen mit auf den Boden gefallenen Büchern, die alle ringsherum verteilt lagen, also war dies das Poltern gewesen, dass Mark so erschreckt hatte.
„Wer bist du?“ vernahm er die Stimme des Wachgewordenen wieder.
Mark stellte sich vor und erklärte, dass er seine Freundin suchte, sie arbeitete für einen Dr. Krause, oder so.
„Du meinst Klausner. Der hat sein Büro ein Stockwerk höher. Aber ich glaube außer mir ist keiner mehr hier, ich bin so dämlich, ich hab zu lang gelernt und die Zeit vergessen. Gehört hab ich jedenfalls niemanden, aber das kann auch an meinen Kopfhörern liegen.“ Er fasste sich an die Stirn und tastete den Kopf ab. „Toll, die hab ich dann wohl gerade verloren.“
Mark lief auf ihn zu und leuchtete den Boden ab. Nach einigen Sekunden hatten sie die Kopfhörer neben einigen Büchern entdeckt, die der junge Mann wieder auf den Rollwagen stapelte.
„Ich bin übrigens Kristofer.“ stellte sich der Student Mark vor. „Wenn du willst, komm ich mit zum Büro von Klausner. Dann kann ich gleich ein paar Räume weiter meine fertige Hausarbeit in seinen Kasten werfen.“ Er wedelte mit einem Schnellhefter durch die Luft. „Bin sowieso viel zu spät dran. Liegt am Nebenjob, der frisst alles an Zeit.“
Mark war nicht nach Smalltalk, aber dieser Kristofer schien recht nett, also stimmte er zu. Er wollte nur Aileen finden und die Uni schnellstmöglich verlassen, die Müdigkeit ergriff langsam von ihm Besitz.
„Dann lass uns mal.“ meinte Kristofer und lief durch den Taschenlampenstrahl, der Kegel huschte über seine Schuhe und Mark schloss zu ihm auf.
„Was studiert deine Freundin?“ erfragte Kristofer nach einige Sekunden und Treppenstufen.
Mark dachte nach, dann gab er die Antwort, seine Gedanken kreisten jetzt um andere Themen als den Studiengang von Aileen.
Sie hatten das Ende der Treppe erreicht und standen im dritten Stockwerk. Kristofer drehte sich halb nach links und deutete auf einen weiteren unbeleuchteten Gang.
„Da vorn ist sein Büro, soweit ich weiß.“
Die beiden Männer liefen weiter und passierten eine verglaste Tür, die sich schwer öffnen ließ, dann schritten sie über einen mit Teppich ausgelegten Gang entlang.
Nach einigen Metern waren sie am Büro von Prof. Dr. Klausner angelangt und klopften.
Niemand reagierte, der Raum schien nicht besetzt zu sein. Mark klinkte und drückte die Tür auf, doch Schwärze empfing die beiden.
„Keiner da.“ murmelte Kristofer und drückte sich an Mark vorbei in den Raum, warf seine Hausarbeit auf den Tisch des Professors und drehte sich wieder in den Strahl der Lampe.
„Dann hat deine Freundin wohl Feierabend gemacht.“ meinte er lachend. „Sorry, Kumpel.“
Doch Mark wunderte sich, es war nicht Aileens Art ihn erst herzubeordern und dann einfach vorher zu verschwinden, das passte nicht in ihre klar strukturierte Planung.
„Seltsam.“ meinte er schließlich. „Ok, ich versuche es noch mal auf ihrem Telefon.“ Wie gesagt, rief er an und wurde wieder mit keinem Freizeichen enttäuscht.
„So, Digger. Ich muss los, kommst du mit?“ erkundigte sich Kristofer ein wenig zu kumpelhaft. „Ich brauche dringend ne Mütze voll Schlaf.“ Er wandte sich zum gehen. „Ich kenne deine Freundin zwar nicht, aber ich denke sie ist weg. Mach dir nichts draus, so sind die Weiber nun mal.“
Mark war genervt von der Art des Studenten, auch wenn er aus der Uni wollte, doch dies missfiel ihm.
Doch auf eine bestimmte Art hatte Kristofer recht, Aileen war weg und sie war nicht mehr im GW2, sonst hätte sie die beiden spätestens auf der Treppe mit dem Poltern gehört.
„Also gut, lass uns gehen.“

Als die beiden jungen Männer wieder vor dem Gebäude standen, schaute Mark noch einmal zu den dunklen Fenstern des Unigebäudes, hoffte innerlich, dass Aileen hinter einem der Fenster zu ihm winkte und gleich aus der Glastür rannte, doch das traf nicht zu.
„Also dann, schöne Nacht noch.“ meinte Kristofer, der die Treppen des Boulevards in Richtung des SFG hinunterstieg. „Dir auch.“ gab Mark knapp zurück und begab sich in seinen Wagen, den er vor der Glashalle geparkt hatte. Er blickte auf das Display des Smartphones und ließ es dann nach ernüchternder Feststellung einer fehlenden Nachricht verdunkeln.
Den Wagen starten lassend, fuhr er vom Gelände der Uni und nach Hause.

Kristofer hatte einige Minuten an den Fahrradständern des SFG verharrt, dann kehrte er zum Boulevard zurück. Alles war wieder still und finster und einsam.
Er lief auf den Eingang des GW2 zu, drückte die Tür auf und schritt ins Innere.
Das war also Aileens Freund gewesen, netter Kerl im Grunde, wenn auch etwas sorglos, wie er fand.
Einer Frau wie Aileen hatte er mehr zugetraut. Sie war immer so perfekt, schön und hinreißend, interessierte sich allerdings nie für ihn oder „seinesgleichen“, den Nerds, wie die „coolen“ Kids sie titulierten.
Wobei er fand, dass auch ihre Intelligenz zu wünschen übrig ließ, immerhin war sie auf seine gefakte Mail von Dr. Klausner reingefallen, die er von seinem PC geschrieben hatte. Die musste er dringend löschen, dafür studierte er ja IT und kannte sich bestens aus.
Doch zuvor musste er den Knebel checken und die Kabelbinder. Es gab noch viel zu tun in dieser Nacht. Aber er war ja den lästigen Hausmeister losgeworden und dieser Mark war ebenfalls fort.
Den Raum mit dem umgestürzten Bücherwagen davor fand er auch ohne Licht.

Über den Autor

Max Stascheit wurde am 09.04.1991 in Vechta geboren. Schon in jungen Jahren faszinierte ihn das Unheimliche und Makabre. Comics, Kurzfilme und Hörspiele sind nur einige Dinge die ihn begeistern und immer wieder erneut antreiben. Erste Erfahrungen mit Horrorliteratur machte er mit Büchern von Stephen King. Sein großes schriftstellerisches Vorbild ist nach eigenen Aussagen Robert Bloch.

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