Der Zug rollt wieder!
„Mord im Orient Express“ in der Kritik
Ein pompöser Schnurrbart, aufwendige historische Kulissen und eine beeindruckende Star-Besetzung sind die Zutaten für Sir Kenneth Branaghs Neuverfilmung des Agatha Christie Klassikers „Mord im Orient Express“. Der vielseitige Filmemacher setzt ein Remake des 1974 zum ersten Mal verfilmten Stoffs auf und stellt sich selbst damit eine große Aufgabe.
Von Mahé Crüsemann
Der Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh selbst) ist eigentlich im Begriff sich eine Pause zu genehmigen. Kaum ist der Beschluss gefasst, gibt es einen Notfall und er wird nach London gerufen. Um dort rechtzeitig anzukommen besteigt Poirot in Istanbul den Luxuszug „Orient Express“ in Richtung Calais. Mitten im jugoslawischen Gebirge entgleist der Zug und kommt auf einer eingeschneiten Brücke zum Stehen. Prompt geschieht es: Einer der dreizehn Fahrgäste wird ermordet. Beim Opfer handelt es sich um den zwielichtigen Geschäftsmann Edward Ratchett (Johnny Depp). Mehrere brutale Stiche in die Brust haben ihm den Tod gebracht, die Tür seines Abteils ist von innen verschlossen. Poirot muss feststellen, dass jeder der zwölf sehr verschiedenen Fahrgäste ein Motiv hätte. Damit beginnen seine Ermittlungen…
Seit wann fährt er eigentlich, dieser Orient Express?
1934 erscheint Agatha Christies Krimi, millionenfach wird er gelesen. 1974 folgt dann die Hollywoodverfilmung von Sidney Lumet, der Film wird sechsfach für den Oscar nominiert. Filmgrößen wie Albert Finney als Ermittler, Lauren Bacall und Sean Connery haben ihren Auftritt. Ingrid Bergman gewinnt sogar den Oscar für ihre Darstellung der schwedischen Missionarin Greta Ohlsson.
Nun, 43 Jahre später, versucht Shakespeare-Interpret Kenneth Branagh dem Stoff etwas Neues abzugewinnen. Branagh hält es klassisch. Die Liebe zum Detail bei Ausstattung und Kostümen (an Hercule Poirots Schnurrbart arbeitete die Hair & Makeup-Abteilung monatelang) macht das Zuschauen zum Genuss. Auch die gekonnte Kameraführung und das analog, auf kaum noch verwendeten 65mm-Film gedrehte Bild geben dem ganzen einen historischen Charme. Und dennoch, die Geschichte ist alt, die Figuren erscheinen mit heutigem Blick teilweise ein wenig verstaubt. Dem entgegen wirken jedoch die extrem guten Darbietungen des hochkarätigen Casts. Judi Dench als eingebildete Prinzessin Dragomiroff hat einen erstaunlich kleinen Part, den sie aber mit gewohnt gekonnter Vielschichtigkeit zum Besten gibt. Auch Penelope Cruz als Missionarin Pilar Estravados, sowie Michelle Pfeiffer als Witwe Mrs. Caroline Hubbard bringt Branagh trotz teilweise nur kleinen Rollen mit guter Regiearbeit zur Geltung.
Dem belgischen Detektiv Hercule Poirot, den Branagh selbst zum Besten gibt, fehlt es jedoch leider an Tiefe. Seine liebenswürdige Schrulligkeit und autistischen Ticks verschwinden nahezu gänzlich hinter dem comicartigen Bart. Der Ermittler erinnert in Branaghs Version eher an einen britische Karikatur als an einen Belgier. Die Szenen, in denen Poirot, mit traurigem Blick auf das Bild seiner Geliebten, sentimentale Züge zeigt, kann nicht die gewünschte Vielschichtigkeit schaffen, die man sich von der Hauptfigur wünschen würde.
Ein bisschen Glanz aus Hollywood
Branagh ist sein Remake dennoch gelungen. Durch Szenen im Freien und actionreiche Elemente bekommt die klaustrophobische Szenerie einen gewohnt pompösen Hollywoodglanz. Wer jedoch den Stoff kennt, wird den außergewöhnlichen Ausgang dieses Kriminalfalls nicht mehr vergessen. Dass es da schwer fällt die Spannung auch für das wissende Publikum aufzubauen liegt auf der Hand. Durch seine akkurate Ausstattung und den fähigen Cast gelingt Branagh dennoch ein vorweihnachtliches Kinoerlebnis, das auch für eingefleischte Agatha-Christie-Fans ein Genuss sein dürfte.
Mord im Orient-Express. Regie: Kenneth Branagh. Drehbuch: Michael Green (nach Romanvorlage von Agathe Christie). Mit u. a. Kenneth Branagh, Penélope Cruz, Johnny Depp, Willem Dafoe. 20th Century Fox. USA 2017. FSK 12.