Didaktischer Gangsta-Rap?

Was wir von Hip-Hop lernen können

Noch nie gab es so viele Hip-Hop-Fans wie heute. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die einstige Underground-Bewegung zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Trotzdem steht der Begriff Hip-Hop immer wieder im Verruf, die Jugend zu versauen. Sexismus, Homophobie,  Gewalt- und Drogenverherrlichung sind nur ein paar Stichwörter, die Kritiker*innen damit in Verbindung bringen. Bei all diesen Vorwürfen wird aber oft vergessen, was für ein positives, lehrreiches Potenzial Hip-Hop für uns alle bereit hält.

Von Rike Düsterhöft

Was ist eigentlich Hip-Hop?

Hip-Hop wurde in den 1970er-Jahren im Stadtbezirk Bronx in New York geboren. Die Kultur entstand als eine Reaktion von Afro-Amerikaner*innen und einigen Latein-Amerikaner*innen auf gesellschaftliche Probleme. Drei Männer dieser Zeit gelten als die Urväter des Hip-Hops: DJ Kool Herc, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa. Letzterer sprach von fünf Elementen, die Hip-Hop ausmachen: DJ-ing, MC-ing (oder: Rap), Breakdance, Graffiti und Wissen. Hip-Hop ist also – entgegen der Vorstellung vieler Menschen – nicht bloße Rap-Musik, sondern eine Art von Kultur, die mehrere Facetten umfasst.

In den vergangenen Jahren hat sich die Underground-Kultur der Bronx stark transformiert. Heute herrscht vor allem ein Hype um Rap-Musik, welche die weltweiten Charts dominiert. Zudem sind viele Lyrics – seit dem Aufkommen des Gangsta-Raps in den 80er-Jahren – nicht nur gesellschaftskritisch, sondern oft vulgär und anstößig. Ob sich nun jeder Rap-Song zur „wahren“ Hip-Hop-Kultur zählen lässt, ist ein heiß umstrittenes Thema an sich. Allerdings verbindet wohl die Mehrheit der Menschen den Begriff Hip-Hop mit jeglicher Art von Rap-Musik. Es stellt sich dann jedoch die berechtigte Frage: Was kann man vom Hip-Hop des 21. Jahrhunderts lernen, wenn in populären Rap-Videos halbnackte Frauen tanzen oder mit Kokain geflext wird; wenn ein Farid in Miami erzählt was für ein „Killa“ er ist, oder Cardi rappt, dass sie zu wenig Kleiderbügel für ihre „Gucci“-Sammlung besitzt?

Hip-Hop ist geballte Motivation

Nun, zunächst einmal motiviert Hip-Hop ungemein. In den Rap-Lyrics erzählen die meisten Künst-ler*innen Geschichten aus ihrem eigenen Leben, die das „From rags to riches“-Thema (zu Deutsch: „vom Tellerwäscher zum Millionär“) behandeln. Die Message der meisten Rapper*innen ist: Durch harte Arbeit kann jeder Erfolg haben. Luxusgüter und Geld werden also stolz präsentiert und auch sonst strotzen die Rap-Stars meist vor Eigenlob und Selbstbewusstsein. Diese positiven Bilder regen das Publikum an, selbst nach den Sternen zu greifen und härter zu arbeiten. Egal ob es ein motivierender Klassiker wie „I Can“ von Nas ist oder eine eher umstrittene Perle des heutigen Deutschraps wie „Monte Carlo“ von Money Boy; Rap-Songs preisen zumeist unendliche Selbstliebe an und inspirieren die Zuhörer*innen, ihre eigenen Leben zu upgraden.

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Hip-Hop ist wahre Kunst

Neben dem motivierenden Potenzial von Hip-Hop ist diese Kultur außerdem wahre Kunst. Breakdance, Graffiti und Rap sind allesamt Elemente, die durch einen hohen Grad von menschlicher Kreativität und Fantasie erschaffen werden. Hip-Hop ist ein Werkzeug, mit dem sich Menschen individuell ausdrücken können. Rap-Texte können so als Gedichte des 21. Jahrhundert angesehen werden und Graffiti als ein zeitgenössisches Gemälde.

Hip-Hop ist gut für die Psyche

Da Hip-Hop sowohl Motivation, als auch Kunst darstellt, ist es gleichzeitig ein hervorragender Einfluss auf die menschliche Psyche. Hip-Hop gibt die Möglichkeit sich selbst kreativ auszuleben und dabei psychisch Dinge zu verarbeiten. Zudem wird in vielen Rap-Songs das Tabu-Thema „psychische Erkrankung” angesprochen. So rappt Kanye in „Yikes“ über seine bipolare Störung, die er eine „superpower“ nennt, während Kid Cudi in seinem „Soundtrack 2 My Life“ über seine Probleme mit Depressionen und Paranoia spricht. Laut zwei Cambridge-Wissenschafter*innen – Dr. Sule und Dr. Inkster – kann Hip-Hop-Musik sogar therapeutisch eingesetzt werden und gegen psychische Krankheiten wirken.

Hip-Hop ist wertvolles Wissen

Zuletzt lehrt uns Hip-Hop das fünfte Element, von dem Afrika Bambaataa sprach: Wissen. Hip-Hop entstand als Antwort von Afro-Amerikaner*innen auf soziale Probleme und dies ist wohl noch immer die Kernaussage jener Kultur. Auch heute noch können wir in vielen Lyrics oder in Graffitis wertvolle Autobiographien mit sozial-kritischem Hintergrund finden. Hip-Hop war und bleibt ein ungeschönter Spiegel der Gesellschaft, der aufzeigt was geändert werden muss. Von 2Pacs legendärem „Trapped“ bis hin zu moderneren Songs wie „This is America“ von Childish Gambino: Insbesondere Rap-Musik ist gesellschaftskritisch und macht auf Probleme wie Rassismus oder Polizeigewalt aufmerksam.

Selbst Gangsta-Rap kann didaktisch sein

Geburtsort des Hip-Hops: Stadtteil Bronx in New York City.

Die Kritik lässt sich trotz all dieser Potenziale nicht völlig von Hip-Hop abweisen. Es stimmt, dass viele Rap-Songs Sexismus, Gewalt und Drogen thematisieren und einige Lieder sogar hasserfüllte Botschaften aussenden. Allerdings ist dies nur ein klitzekleiner Teil, der sich mit der facettenreichen und grundsätzlich positiven Hip-Hop-Kultur in Verbindung bringen lässt. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, ob die negativen Aussagen der Rap-Texte nicht vielmehr eine authentische Repräsentation unserer Gesellschaft darstellen und als augenöffnende Kritik zu verstehen sind. Gewalt, Sexismus und Homophobie sind leider im 21. Jahrhundert allgegenwärtig und werden in den Lyrics hörbar aufgegriffen. Letztlich sollten wir uns auch im Klaren darüber sein, dass wir selbst beim Aufschlagen unserer klassischen Tageszeitung sexistische Werbung oder sensationsgeile Berichterstattung über ein blutiges Attentat sehen. Das heißt: Die „Probleme“ von Hip-Hop sind nicht spezifisch für diese Kultur, sondern Aspekte, die wir in unserer gesamten Medienlandschaft und Gesellschaft auffinden.

Im Allgemeinen lehrt uns Hip-Hop selbstbewusster zu sein, regt uns an, dass wir uns kreativ auszudrücken und die eigene Stimme erheben, unterrichtet uns über soziale Ungerechtigkeiten und motiviert uns, härter zu arbeiten um mehr aus unserem wertvollem Leben zu machen. Selbst mancher Gangsta-Rap kann uns dementsprechend zu positiven Veränderungen verhelfen, indem er uns daran erinnert, was geändert werden muss oder indem uns die Präsentation von materiellen Gütern und Selbstliebe zu neuen Höchstleistungen motiviert. Dabei scheint es einfach wichtig zu sein, dass die Konsument*innen kritisch bleiben. Bei Rap-Texten sollte man wohl nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, sondern versuchen Ironie oder Hyperbeln zu erkennen oder – wenn dies tatsächlich nicht vorhanden ist – sich zumindest fragen was solch ein Text über unsere Welt aussagt und was wir in Zukunft tun können um derartige Aussagen zu verhindern.

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