Ein Appell für Pressefreiheit und Demokratie

Rezension von "Agentterrorist"

Der Welt-Korrespondent und Journalist Deniz Yücel wurde am 14. Februar 2017 in der Türkei inhaftiert. Ihm wurden Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Datenmissbrauch und Propaganda für die PKK vorgeworfen. Seinen Weg von der Inhaftierung bis zur Freilassung am 16. Februar 2018 beschreibt er in seinem Buch „Agentterrorist – Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie“.

Von Paula Klöver

Die #FreeDeniz-Kampagne von Freunden Deniz Yücels war in den Jahren 2017 und 2018 in allen deutschen Medien präsent. Journalist*innen aus ganz Deutschland und der Welt machten aufmerksam auf einen Fall, wie es ihn in dieser Form vorher noch nicht gegeben hatte. Yücel ist ein deutscher Journalist mit türkischen Wurzeln, der für „Die Welt“ schreibt und zu der Zeit in Istanbul als Korrespondent gelebt hat. Aufgrund seiner journalistischen Arbeit inhaftierte man ihn in der Türkei unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan. Neben dem Vorwurf der PKK-Propaganda und  des Datenmissbrauchs unterstellte man ihm außerdem die Mitgliedschaft in einer nicht näher genannten Terrororganisation. Er verbrachte 368 Tage in Haft.

Von den Autokorsos draußen und der Einzelhaft drinnen
Das Medienecho Anfang 2017 nach der Verhaftung Yücels ist groß, unzählige Menschen bieten Unterstützung an, bekunden Anteilnahme. Sein Freundeskreis startet die medienwirksame #FreeDeniz-Kampagne. In Berlin, Hamburg und in Flörsheim, der Heimatstadt des Journalisten, werden immer wieder Aktionen organisiert. Es finden Kundgebungen und Autokorsos statt, Zeitungen schreiben immer wieder über seinen Fall.

Yücel beschreibt in seinem Buch „Agentterrorist“ die Zeit der Haft detailliert und exakt. Was passierte innerhalb des Gefängnisses, was passierte mit ihm als Mensch? Wie überstand er die Einzelhaft, das Warten auf eine ausformulierte Anklage? Yücel weißt auf Ungerechtigkeit in seinem Verfahren hin, auf Übersetzungsfehler, die beibehalten werden. Auf Vorwürfe, die ihm ohne konkrete Anhaltspunkte gemacht werden. Er schildert in seinem Buch die gesamte Anklage gegen ihn, gibt Hintergrundinformationen, erläutert schwammig formulierte Thesen der türkischen Regierung, deckt Ungereimtheiten auf und macht sie für seine Leser*innen verständlich.

Das Buchcover von "Agentterrorist"
© Kiepenhauer & Witsch

Aber auch von den kleinen Dingen berichtet Deniz Yücel. Die Art und Weise wie er seine Zelle ausmisst, um eine Zeichnung davon nach draußen zu schmuggeln. Die Wege, mit denen er die Gefängnisregularien umgeht, um seiner journalistischen Berufung weiterhin nachgehen zu können. Aber auch von dem Luxus frischer Petersilie, seiner Katze Sahit Hanim und den Gedanken an seine heutige Ehefrau Dilek erzählt Yücel auf berührende Art und Weise. Und auch „der kleine Prinz“ spielte für ihn hinter Gittern eine wichtige Rolle, an der er die Leser*innen teilhaben lässt.

Außerdem geht er in großem Umfang auf die Ereignisse außerhalb seiner Zelle ein. Er erzählt von Gesprächen zwischen Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan, den Bemühungen des damaligen Außenministers Siegmar Gabriel und den Stimmen vieler Kolleg*innen, die sich für ihn einsetzten.
Durch die Inhaftierung Yücels wird 2017 einmal mehr die verheerende Situation der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei deutlich.
Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 ist die innen- und außenpolitische Lage der Türkei bis heute nicht vollständig entspannt. Ein Teil des türkischen Militärs scheiterte damals bei dem Versuch, die Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen. Ein Beitritt der Türkei zur EU wird ebenfalls immer abwegiger. Die Regierung Erdoğans entwickelt sich weiter und weiter in eine autoritäre Richtung, nach einer durchgesetzten Verfassungsreform im Jahr 2018 und Erdoğans erneuter Wahl hat sich das Präsidialregime gefestigt.
Yücel appelliert in seinem Buch immer wieder für die Erhaltung der Pressefreiheit in der Türkei, es wird jedoch deutlich, dass diese unter der jetzigen Regierung nicht mehr gewährleistet ist und schon 2017 nicht stark genug war. Ansonsten wäre es nie zu Yücels Verhaftung gekommen.

Das Lachen vergeht ihm nie
Der Autor verliert innerhalb seiner Erzählung nie den Humor, sodass trotz dieser erdrückenden Thematik die Hoffnung im Vordergrund bleibt. Dieses Buch ist nicht nur autobiografisch, sondern gleichzeitig in vielen Teilen ein Sachbuch, dass anhand des Falles „Deniz Yücel“ die politische Situation in der Türkei seit der Gründung des Landes 1923 beschreibt. Es ist gefüllt mit Sprachwitz, Ironie und Emotionalität, aber auch mit der angemessenen Ernsthaftigkeit. Der Titel des Buches ist eine Wortschöpfung des türkischen Präsidenten, die er zur Bezeichnung Yücels wiederholt benutzt hatte.

„Aber müsste ich die Frage, wie ich die Zeit im Gefängnis verbracht habe, mit einem einzigen Wort beantworten, es würde „kämpfen“ lauten.“

Deniz Yücel und alle an diesem Fall Beteiligten haben nicht nur für ein einzelnes Schicksal gekämpft, sondern deutlich gemacht, dass in Deutschland Meinungs- und Pressefreiheit weiterhin unglaublich hohen Stellenwert haben und unangreifbar sind.
Allein schon deshalb ist „Agentterrorist“ eine Leseempfehlung für alle, die sich für Journalismus und Politik interessieren, aber auch für diejenigen ,die unsere Demokratie als selbstverständlich hinnehmen.

Yücel, Deniz: Agentterrorist: Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie. 400 Seiten. 2019. Kiepenhauer & Witsch.

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One thought on “Ein Appell für Pressefreiheit und Demokratie

  • February 3, 2020 at 15:32
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    ich find’s top, dass ihr über den Tellerrand der Uni hinwegschaut und euch mal aktuellen politischen Werken widmet. Die Geschehnisse um Yücel sind bestürzend und eine sollten uns alle daran erinnern, wie froh wir sein können, in Deutschland frei berichten zu dürfen (mal abgesehen davon, dass ich die heutige Medienlandschaft sehr reißerisch finde…)

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