Praktikum im Paradies!?

Das Leben in Costa Rica

„In Costa Rica führen die Wege zu Wasserfällen, nebelverhangenen Vulkanen und einsamen Stränden. Egal, wohin es einen zieht, dieses tropische Land ist ein Fest für alle Sinne.“ (Lonely Planet, 21.02.2020)

Von Jana Böhme

Die Google-Ergebnisse für „Costa Rica“ sind mehr als vielversprechend. Grüne Regenwälder, weiße Strände, hellblaues Wasser, orangene Sonnenuntergänge, farbenfrohe Tiere. Exotische Früchte, glückliche Menschen. Abenteuer, Nachhaltigkeit, Entspannung. „Pura Vida“, zu Deutsch „pures Leben“, ist das Motto der Ticos und spiegelt den Lebensstil im Paradies auf Erden wider.

Fünf Monate Costa Rica

Punta Ballena an der Pazifikküste Costa Ricas: Weißer, endloser Strand, hellblaues Wasser und grün bewaldete Hügel.

Ich habe mich locken lassen und mein fünfmonatiges Studienpraktikum im Bereich Biologie in Costa Rica verbracht. Neben meinem Forschungsprojekt über eine einheimische, vom Aussterben bedrohte Baumart, habe ich einen authentischen Einblick in Land, Leben und Leute erhalten. „Und wie war`s?“ ist die Frage, mit der ich seit meiner Rückkehr öfter konfrontiert werde. Um es den zahlenliebenden Deutschen leicht zu machen, habe ich mir folgende Antwort überlegt:
Ich habe an vier verschiedenen Orten gelebt, am Leben von drei Gastfamilien teilgenommen, mit einem spirituellem Sektenanhänger, einer Freiwilligen, einer schweizerischen Peruanerin und einer deutschen Auszeitsuchenden zusammen gewohnt, eine neue Sprache gelernt, zwei tödliche Spinnen und drei Schlangen getroffen, fünf Mal die Hauptstadt San José besucht und zwei Mal die Küsten bereist. Ich habe unendlich viele Stunden draußen verbracht, unendlich viel Regenwasser auf Dächer prasseln gehört, unendlich viele Insektenstiche erhalten und unendlich viele neue Menschen kennengelernt.

Paradies? Ja!

Froschperspektive im tropischen Regenwald.

Ich hatte das große Privileg, den Großteil meiner Zeit in einem Permakulturprojekt ein wenig außerhalb von Longo Mai, einem 600-Einwohner*innen-Dorf im südlichen Teil des Landes, zu wohnen. Zusammen mit unterschiedlichsten Menschen habe ich dort den ganzen Tag draußen verbracht und das intensive Grün des Regenwaldes, das schimmernde Blau der riesigen Morpho-Schmetterlinge, das laute Zirpen der Grillen, die Kühle des Flusswassers und die Wärme der orangenen Sonne in mich aufgesogen. Ich habe Pflanzen beim Wachsen zugesehen, mit bunten Stiften Postkarten gemalt und stundenlang mit tollen Menschen gekocht, gespielt und gequatscht. Auch aufgrund des fehlenden Handy-Empfangs war mein Leben so entschleunigt, entspannt, intensiv und naturnah wie nie zuvor.

Paradies? Nein!

Die Gegebenheiten in Costa Rica machen es einem leicht, sich das Leben zum Paradies zu machen. Neben mir tun dies tagtäglich eine Menge Menschen: Einheimische, Aussteiger*innen, Tourist*innen. Ein Blick hinter die Fassade verrät jedoch, dass die Realität anders aussieht. Wie jedes andere Land hat auch Costa Rica mit Problemen diverser Art zu kämpfen.

Indigene Bevölkerung

Zu Beginn meiner Zeit verbrachte ich drei Wochen bei einer Gastfamilie in dem Dorf Rey Curré, das Teil des indigenen Territoriums Curré des Stammes der Boruca ist. In Costa Rica gibt es acht indigene Stämme, die von dem Rest der Gesellschaft isoliert, im Land verteilt, leben. Die indigene Bevölkerung musste lange Zeit für ihre Rechte kämpfen und auch heute ist ihre Akzeptanz in der breiten Gesellschaft noch nicht vollkommen. Nach wie vor gibt es Kämpfe um Land, das der indigenen Bevölkerung durch die Kolonialisierung entrissen wurde. So durfte ich eine Gruppe von indigenen Finca-Besetzern kennenlernen, die sich vor über einem Jahr mit Gewalt die Finca, eine große landwirtschaftliche Fläche, eines US-Amerikaners zurückerobert haben und seitdem auf die Bewilligung dieses Besitzes durch die Regierung warten. Durch den vorherrschenden Unmut stellen Alkohol, Drogen und Prokrastination große Probleme in den indigenen Gruppen, aber auch in der gesamten costa-ricanischen Landbevölkerung, dar.

Plantagenanbau

Schon auf der ersten Busfahrt zu meinem Dorf vermisste ich den grünen tropischen Regenwald, für den Costa Rica so bekannt ist. Stattdessen blickte ich über meilenweite Ananasplantagen, die sich wüstenartig ausbreiteten. Auf weiteren Fahrten durchs Landesinnere und entlang der Küsten wurden diese vor allem durch Kaffee-, Papaya-, Palmöl- und Bananenplantagen ersetzt. Das Klima des Landes eignet sich ideal zum Anbau von Tropenfrüchten für den internationalen Export. Der Plantagenanbau im großen Stil sichert Arbeitsplätze und kurbelt die Wirtschaft an, sodass beispielsweise der Großteil der Menschen in meinem Dorf ihr Geld auf Kaffee- und Ananasfeldern verdienen. Andererseits werden die Böden und Flüsse mit Chemikalien verseucht und die Menschen bei harten und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen deutlich unterbezahlt. Acht Stunden Kaffeepflücken bringt umgerechnet knapp zehn Euro ein.

Papayaplantage in Rey Curré: Hier wuchs mal tropischer Regenwald.

Tourismus

Ein weiterer großer Wirtschaftszweig ist natürlich der Tourismus. Leider ist Costa Rica in den Ferienzeiten so überlaufen, dass spontanes Reisen und Übernachten sowie das Genießen der normalerweise beruhigenden Natur kaum möglich sind. Diese leidet eher unter dem Massenansturm, denn Touristen verursachen immer hohe CO2-Emissionen, Lärm und Müllberge. Leiden tut außerdem die Kultur. Ehrlich gesagt kann ich nach fünf Monaten Costa Rica kaum Aussagen über Kultur und Traditionen, abgesehen von jenen der indigenen Bevölkerung, treffen, denn das Land ist überlaufen von US-Amerikanern und Europäern. Viele bleiben auch längerfristig, um in der Natur mit Hilfe von Sonnenschein, Yoga und Kristallen zu sich selbst zu finden. Die Landessprache Spanisch zu erlernen, scheint dabei jedoch irrelevant zu sein.

Wieder Zuhause

Ich bin seit neun Wochen zurück in Europa und kann nicht abstreiten, dass ich die Sonne, die Früchte, den Regenwald und die Menschen vermisse. Bei diesem wechselhaften Wetter bleibt mir auch kaum etwas anderes übrig. Oberflächlich betrachtet mag Costa Rica das Paradies auf Erden und damit für viele das ideale Reiseziel sein. Ein Blick hinter die Kulissen verrät allerdings mehr und regt zum Nachdenken an, weshalb ich allen Weltenbummler*innen ans Herz lege, die Augen und den Verstand weiterhin offen zu halten!

Bilder: Jana Böhme

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